Kultur

Joyce-Hörspiel: 22 Stunden Rätselraten

Es soll ja in Dublin immer noch Leute geben, alte Leute, wenn man die nach James Joyce fragt, so sagen sie: "Jaja, das war ein Tenor."

Und nach einer Gedankenpause: "Stimmt, ein paar Bücher hat er auch geschrieben."

Mit "Ulysses" schrieb der begabte Sänger sogar einen Klassiker der modernen Weltliteratur, die unspektakuläre Nahaufnahme des 16. Juni 1904 in der irischen Hauptstadt. Der Alltag der Welt. Und das Erlebnis Sprache in 18 Kapiteln.

"Ulysses" ist eines der berühmtesten ungelesenen Bücher.

Jetzt – 85 Jahre nach der ersten deutschen Übersetzung – kann es endlich auch ungehört bleiben.

Freie Rechte

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Experten raten seit Langem, man müsse sich den 1000 Seiten langen Roman vorlesen lassen. Mit Joyce’ Erben aber war da nichts auszuhandeln. Seit dem Vorjahr sind die Rechte frei. Man muss nun nicht mehr um Erlaubnis fragen (und Honorar muss man auch keines mehr zahlen).

Das Hörspiel-Ereignis des Südwestrundfunks (ARD) dauert 22 Stunden.

37 Schauspieler verbrachten abwechselnd 270 Tage im Aufnahmestudio. Der Kölner "Tatort"-Kommissar Dietmar Bär ist Leopold Bloom, Birgit Minichmayr seine Molly. Josef Bierbichler liest und Anna Thalbach ... Manfred Zapatka ist einer der Erzähler – obwohl der Schauspieler in seiner ­Uni-Zeit mit "Ulysses" gequält wurde und sich geschworen hat: "Nie wieder Joyce!"

Für Regisseur Klaus Buhlert, der Musik einbaute, die Joyce nachweislich gesungen hatte, machte er eine Ausnahme.

Es müssen harte Zeiten im Studio gewesen sein.

Buhlert: "Wir kennen den Satz: ,Schreibe, wie du sprichst!’ Der wird bei Joyce ins Gegenteil verkehrt."

Dass man wenige Anspielungen in der modernen Odyssee versteht, soll nicht abschrecken. Völlig enträtselt ist das Buch bis heute nicht. Der Schriftsteller hat das so gewollt: Es sichere Unsterblichkeit.

Literaturwissenschaftler können sogar wochenlang diskutieren, warum Hammelnieren verspeist werden, obwohl doch James Joyce viel lieber Aal gegessen hat.

Archäologie

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Kurt Palm, Regisseur und Autor, ist Joyce-Kenner und ein großer Aal-Zubereiter. Er rät:

"Das Wichtigste ist, dass man weder Angst noch Ehrfurcht hat. Joyce selbst hat den Roman einmal als ,triviales Werk’ bezeichnet. Es ist eine Reise durch Raum und Zeit, Geschichte und Mythologie, Erhabenheit und Lächerlichkeit, Kunst und Kalauer."

Ein bisschen Archäologe müsse man sein.

Zumindest der erste Satz in der Wollschläger-Übersetzung schafft keine Probleme: "Stattlich und feist erschien Buck Mulligan am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein Rasiermesser lagen."

Auch das letzte Wort ist durchaus verständlich: "Ja."