Kultur

Josefstadt: Im Orkus einer Reha-Klinik

Eine Reihe unbegreiflicher Absonderlichkeiten, die den Eindruck des Alltäglichen erwecken sollten, hätte man sie proben lassen, sagt Sandra Cervik irgendwann im Laufe des Abends. Und zwar über ein Stück, das die von ihr dargestellte Bühnenfigur, Ex-Schauspielerin Alice, schlussendlich nicht spielte.

Über das Stück, das Sandra Cervik tatsächlich spielt, ließe sich Ähnliches sagen.
Und: dass das ganz großartig ist. Zum größten Teil.

Im Theater in der Josefstadt wurde eine auf den ersten Blick verblüffende Verbindung geschlossen: Strindbergs 1900 verfasstes Ehehölledrama "Todestanz" verwoben in Friederike Roths "Lebenstanz". Auch im Stück der Bachmann-Preisträgerin vegetiert ein Paar in einem Schattenreich.

Alterssexszene mit Rollator

Die Liebe blüht im Orkus einer Reha-Klinik. Doch wo's in der Isolation von Strindbergs schwedischer Insel nur noch Zeter und Mordio zwischen den Eheleuten Edgar und Alice gibt, blühen bei Roth angesichts eigener körperlicher Hinfälligkeit Gefühle auf.
Bis hin zu einer hinreißenden Alterssexszene samt Infusionsständer und Rollator.

Es ist kein Allerweltsabend, den Regisseur Günter Krämer da hingestellt hat. Wohl im Ansinnen, keine Spitalsatmosphäre aufkommen zu lassen, suchte er mit Bühnenbildner Herbert Schäfer nach einem passenden Set - und verstieg sich ins Ägyptische. Mit einem Mumienwesen, der als Modell nachgebauten Sphinx des belgischen Symbolisten Fernand Khnopff und schwarzen Anubisköpfen.

Ja, das Leben ist vergänglich und verrätselt. Und nein, das hätt's alles nicht gebraucht. Auch den Studentenchor sogenannter Leidensfreier nicht. Schon klar, Roth verweigert prinzipiell Beipackzettel zu den von ihr verabreichten Substanzen.

Chronisch komisch

Aber ihr Text ist ohnedies so stark, dass er wie eine Injektionsnadel unter die Haut fährt. Bei ihr sind Schmerzen chronisch komisch. Und Krämer erzeugt daraus eine "aufgesetzte" Heiterkeit, die betroffen und Lachen macht.

Ob beim Krach und Liebe machen oder beim Messen des Schweregrads von Krankheiten und Hypochondrien - unter Einbeziehung des Publikums, denn mit wem soll man schon über Wehwehchen reden, wenn nicht mit Wildfremden.
Krämers Inszenierungsstil ist böse und staubtrocken.

Und die Darsteller hervorragend. Cervik ist als Alice ganz Diva, leidend, leidenschaftlich, lyrisch. Die beste Leistung ihrer bisherigen Laufbahn! Michael Abendroth, dessen Edgar die Freude abhanden kam, oszilliert zwischen Zynismus und Hilflosigkeit. Joachim Nimtz gibt Kurt, ihren mit allen Kaugummi-Klischees behafteten Verwandten aus den USA.

Und macht später den Mumienschlepper, Zweiteres sicher der härtere Job.

KURIER-Wertung: **** von *****

Fazit: "Das ist aber nix für die Oma"

Text: Collage klingt gefährlich. Beglückend also, wie viel Strindberg und Roth einander zu sagen haben. Ob das Ganze ein (Alb-)Traum, psychologisches Sadomasospiel oder "nur" eine (Theater-)Vorstellung ist, darf sich jeder selber ausdenken.

Reaktion: So waren beim Rausgehen aus der Josefstadt Sätze wie "War das eine Satire auf modernes Theater?" oder "Das ist nix für die Oma!" zu hören. Die Roth müsste zufrieden sein.

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