Kultur

Die Ästhetik der Zwangsneurose

Ordnung! Regelmäßigkeit! Strenge Buchführung! Wie viele Erziehungssysteme und Ideologien haben wohl von diesen Maximen Gebrauch gemacht? Auch in der Kunst ist strenge Organisation spätestens seit der Minimal Art der 1960er Jahre ein wichtiges Thema.

Aber Rigidität ist sehr oft auch ein Strohhalm, an den man sich in einer unsicheren Welt auf der Suchen nach Stabilität klammert. Manchmal mündet das Festhalten daran in einer Zwangsneurose, manchmal in totalitären Systemen. Bei Josef Dabernig wird daraus Kunst.

Die große Werkschau "Rock the Void" im mumok spannt einen großen Bogen und macht deutlich, wie der 1956 im Kärntner Kötschach-Mauthen geborene Künstler zwänglerische Ordnungssysteme auf virtuose Art und Weise gleichermaßen praktiziert und untergräbt.

Wartung des Darms

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Das älteste Stück der Schau stammt aus dem Jahr 1977: Damals schrieb der 21-Jährige Dabernig das Buch Schönheit und Verdauung oder die Verjüngung des Menschen durch fachgemäße Wartung des Darms von Franz Xaver Mayr (dem Erfinder der nach ihm benannten Kur) mit dem Kugelschreiber Wort für Wort ab. In der so absurden wie obsessiven Arbeit äußert sich auch viel ironische Distanz gegenüber allen Ideologien, die durch Darmwartung, aber auch durch Fitnessübungen und ähnliche Selbstoptimierungs-Strategien Heil versprechen. Dabernig wird auf diese Themen noch öfters zurückkommen.

Verschachtelt

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Den Räumen des mumok hat der studierte Bildhauer nun auch sein eigenes Ordnungssystem auferlegt: Die Ausstellungsarchitektur, die einzelne Arbeiten in einer gestaffelten Abfolge von unterschiedlich großen weißen "Boxen" gruppiert, ist selbst ein Stück Skulptur. In manchen der Räume sind Dabernigs obsessive Sammlungen zu sehen: Die genau geführte Liste aller Zigaretten etwa, die er von September 1979 bis September 1980 konsumierte, oder eine Kollektion von Tickets zu Fußballspielen.

In anderen Räumen laufen Kurzfilme, und auch hier spielt Fußball mitunter eine große Rolle: In seinem Film "Wisla" (1996) inszenierte sich Dabernig selbst als Teamchef im Funktionärsanzug, der im titelgebenden Stadion in Krakau scheinbar ein Spiel verfolgt. Nur: Das Stadion ist leer, die Kamera schwenkt über alte stalinistische Architektur, der Jubel, der auf der Tonspur Action verheißt, stammt von der Übertragung eines Spiels aus Italien.

Auf den Ruinen

Die zerbröselten Ordnungssysteme im ehemaligen Ostblock und anderswo sind ein wiederkehrendes Motiv in Dabernigs Werk. Wobei gerade die eigene Vorliebe für Methodik und Ordnung den Künstler davor bewahrt, zu werten oder gar in Ruinenromantik zu verfallen.

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Auf Vitrinentischen zeigt Dabernig in nüchternen, nach strengem Plan fotografierten Bildreihen Panoramen von Fußballstadien, verfallenden Promenaden oder Sportplätzen. Im Film "River Plate", dem jüngsten Werk der Schau, sind Badende an einem Fluss nahe der Autobahn zwischen Villach und Udine scheinbar gestrandet. Die Kameraeinstellungen wechseln im 10-Sekunden-Takt: Ein Bauch, ein Knie, eine Schulter, ein Betonpfeiler.

Es gibt keine Idylle, aber auch keinen Totalitarismus in diesem Werk. Das ist trostlos und tröstlich zugleich.

INFO: Die Schau "Josef Dabernig – Rock the Void" ist bis 14. September im mumok im MuseumsQuartier Wien zu sehen.
www.mumok.at