Kultur

Jazz & Klassik: Wenn Melodien leise tanzen

Was ist das? Es klingt wie Jazz, aber die Koordinaten weisen eher in Richtung Kammermusik? "Songs of Mirth and Melancholy" (Marsalis Music/ Universal).
Auf keiner seiner CDs flirtet Branford Marsalis so intensiv mit der europäischen Klassik. Es ist nach zwei Saxofon-Klavier-Paarungen - 1995 mit seinem Vater Ellis und 2005 mit Buddy Harry Connick Jr. - das dritte Duo-Album des Jazz-Sax-Players: diesmal mit Joey Calderazzo, dem langjährigen Pianisten seines Quartetts.

Er wird vor allem für seine melodischen Qualitäten geschätzt. "Mit Joey habe ich viele Freiheiten", sagte Marsalis. "Wir beide hören ununterbrochen jede Art von Musik. Es ist großartig, mit einem Pianisten zu spielen, der ein derart natürlich Verhältnis zur Musik hat."
Tatsächlich waren die beiden bei "Songs of Mirth and Melancholy" vor allem von den Romantikern des 19. Jahrhunderts - Robert Schumann, Franz Schubert und Frederic Chopin - inspiriert. Aber Ursprung für die CD war kein angepeiltes Cross-over von Jazz und Klassik: Marsalis: "Wir lassen uns von der Musik leiten und nicht umgekehrt."

Referenz an Brahms

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Track Nummer sechs, "Die Trauernde", eine frühe Komposition von Johannes Brahms, war überhaupt die Guideline dafür, "wie wir an alles herangegangen sind", so Marsalis, Jahrgang 1960, Spross einer berühmten Jazz-Familie und für sein technisch makelloses Spiel mit dem lyrischen, warmen Ton auch von Pop-Größen wie Sting geschätzt.
Brahms auf einer Jazz-CD? Was hat das zu bedeuten?
"Wenn du keine tolle Melodie hast, hast du nichts. Viele Jazz-Musiker reden nur über die Harmonien. Aber die sind sekundär. Die Melodie ist das Wichtigste. Wenn man Songs mit starken Melodien hat, hat man schon halb gewonnen. Wir wollen Songs mit starken Melodien, damit unser Klang auch eine emotionale Wirkung hat", sagt Marsalis.
"Bei Brahms sind die fröhlichen Lieder sehr fröhlich, die melancholischen sehr melancholisch und die schönen sehr schön. So muss es sein. Das finde ich vorbildlich."

Energetisch

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So ist auch das Zusammenspiel der beiden Jazzer in den Eigenkompositionen von Melodienverliebtheit geprägt. Der Opener "One Way" von Calderazzo klingt unter den neun Stücken für kontemplative Stunden noch am konventionellsten und erinnert frappant an "Big Easy" New Orleans und Jelly Roll Morton.
Ehe die Reise dann in eine völlig andere Richtung geht und ins Balladeske driftet: Neben Marsalis' "Endymion" und Calderazzos "Bri's Dance" spielt das Duo unter anderem auch Wayne Shorters "Face On The Barroom Floor" vom Weather-Report-Album "Sportin' Life" (1985).
Und was schätzt Marsalis an Calderazzos Klavierspiel? "Die Energetik. Ich liebe Pianisten, die das Klavier richtig zum Klingen bringen!"

KURIER-Wertung: *****
von *****