Kultur

Jasper Johns: Doppeldeutiges im dehnbaren Dialog

In unserem Zeitalter der Superlative und der knappen Aufmerksamkeits-Ressourcen könnte die neue Ausstellung des Belvedere eigentlich als magisches Mega-Ereignis verkauft werden: Drei Superstars der Malerei – in nur einem Bild! Im Vorteils-Pack erhältlich mit Klimt, Schiele und Kokoschka!

Die Schau „Jasper Johns – Regrets“ (bis 26.4.), für die zwei Schausäle des Oberen Belvedere ausgeräumt wurden, versucht nichts dergleichen. Denn Jasper Johns, der in den 1950ern mit Bildern von Flaggen und Zielscheiben zum Star und Vorläufer der Pop Art wurde, ist ein Meister der Subtilität.

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Die Verbindungen der 2012/’13 entstandenen Werkserie „Regrets“ zu zwei anderen Malerei-Superstars erschließen sich ohne Hintergrundwissen kaum: Die Serie basiert nämlich auf einem abgerissenen Foto, das den Briten Lucian Freud auf einem Bett sitzend zeigt. Der Maler Francis Bacon hatte das Foto als Vorlage für Freud-Porträts genutzt: In Bacons Triptychon „Three Studies for Lucian Freud“, das 2013 um denRekordpreisvon 142,4 Millionen US-Dollar versteigert wurde, ist ebenfalls ein Betthaupt mit Gitter und rundem Knauf zu erkennen.

Vorschau: Ausstellungen 2015

Kunst über Kunst

Für das Belvedere muss das Angebot unwiderstehlich gewesen sein, dieses verschlüsselte Titanentreffen, das zuvor im New Yorker Museum of Modern Art und im Londoner Courtauld Institute zu sehen war, in Wien zu präsentieren: Zu der per Museumsordnung verankerten Rolle als „Museum für österreichische Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart“ passt die Schau nämlich nicht. Direktorin Agnes Husslein verweist auf Nachfrage auf den Zusatz, dass auch internationale Kunst „im Zusammenhang mit der Kernkompetenz“ gezeigt werden solle, und bemüht das Argument, dass Johns’ Serie im Belvedere in einen „Dialog“ mit Schiele & Co. trete.

(Fast) alles ist Dialog

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Tatsächlich führt Johns’ „Regrets“-Serie allerhand Zwiegespräche, bloß nicht mit dem musealen Umfeld im Belvedere. Das Freud-Bild, das der Künstler abmalte, zerlegte und variierte, setzt einerseits die lange Tradition von Künstlerporträts fort; das bloße Abbild des Malers Freud wird hier nach und nach vom Eigenleben bildnerischer Ausdrucksformen – Malerei, Zeichnung, Druckgrafik – überlagert.

Durch die Spiegelung des Bilds ergab sich bei Johns zudem ein vielsagender Zufall: Die abgerissenen Kanten und Knicke der Fotovorlage ergeben in der Verdopplung die Umrisse eines Totenkopfs. Dieses Motiv kommt in Johns’ Werk oft vor, und es steht seit Jahrhunderten auch für die Ermahnung „memento mori“ („Gedenke des Todes“).

An Anbindungen zur Kunstgeschichte würde es also nicht mangeln – doch weder Künstlerporträts, noch Memento-Mori-Motive sind im Belvedere „dialogfähig“ gehängt. Mit gutem Willen könnte man ein Naheverhältnis zwischen Johns’ Bildstrukturen und den Oberflächen der Gemälde Gustav Klimts konstruieren, doch diese hängen am anderen Ende des Museumstrakts.

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„Regrets“ ist also vieles: Ein Nachruf, eine Meditation des heute 84-jährigen Jasper Johns, ein Plädoyer für die Vielfältigkeit und Vieldeutigkeit künstlerischer Formen.
Im Belvedere, zwischen Messerschmidt-Köpfen und Biedermeier-Malerei postiert, bleibt die Schau aber ein Fremdkörper – und ein Memento der Dehnbarkeit museumspolitischer Vorgaben.