Kultur

Jacobson: Fejgele ist kein guter Kosename

Er war niemand. Ein Mann, der sich vor allem nach einer Frau sehnt, damit sie stirbt und er um sie trauern kann ... das ist ja nicht wirklich etwas.

Und dass er bei Partys als Double engagiert wurde, damit ihn betrunkene Gäste mit dem US-Schauspieler Billy Crystal verwechseln (und sehr betrunkene mit Brad Pitt), zeugt auch nicht unbedingt von eigener Identität.

Aber dann wird Mister Julian Treslove, 49, aus London überfallen; und weil er sich einbildet, die Straßenräuberin habe "Du Jud" zu ihm gesagt, ist er plötzlich jemand.
(Die hat bestimmt nicht "Jew" gesagt, sondern wahrscheinlich "jewels", Schmuck, aber wenn er's unbedingt braucht ...)
Er, der Goi, will Jude sein.

Geht das einfach so? Macht es ihn zum Juden, dass er Musik liebt, italienische Todesarien? Hitler mochte auch Opern.

Kann nur jemand ein gutes Leben führen, der weiß, dass ein Heldsl ein gefüllter Hühnerhals ist - wobei unbedingt Oregano hineingemischt werden muss?
Julian Treslove sucht sich gleich einmal eine jüdische Geliebte. Zu der sagt er zärtlich "fejgele" - und wird lernen müssen, dass das Wort nicht nur Vögelchen, sondern, in diesem Zusammenhang unpassend, auch Homosexueller bedeutet.

Sinnieren mit Witz

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Mit "Die Finkler-Frage" gewann der im deutschen Sprachraum bis dahin eher unbekannte Howard Jacobson - geboren 1942 in Manchester - im Vorjahr den Booker Prize. Damit wurde sein Witz ausgezeichnet, der in den Dialogen herrliche Blüten treibt.

Damit wurde auch die Gratwanderung gelobt, auf die sich Jacobson begeben hat. Denn er spielt mit Klischees und Vorurteilen, seine Satire sekkiert Juden und Nichtjuden, es wird über Gaza, Beschneidung, Auschwitz und Zionismus sinniert.

Viel anderes passiert ja nicht außer Sinnieren und Diskutieren, und wenn das auch niemals Schmonzes ergibt, so ist es doch in Ordnung, Lesepausen einzulegen und z. B. von Don Winslows allerneuestem Krimi "Zeit des Zorns" zu träumen.

Der Möchtgern-Jude im Buch hat zum Gedankenaustausch zwei Freunde. Beide Juden, beide verwitwet, der eine ein TV-Star, der sich wegen der Politik für Israel schämt.

Der andere ein Dandy und ehemaliger Hollywood-Reporter, sehr alt, sehr klug, aber mitunter derart gaga, dass er auf die Frage nach seiner liebsten Band antwortet: "Allradantrieb."

Dafür ist seine Lieblingsfarbe "Mozart".

Eine Komödie fürwahr. Aber die Tragödie steht bei Fuß. Wenn Julian Treslove unbedingt Jude sein will, no, dann muss er unbedingt etwas nicht so Angenehmes spüren: ewige Angst.

KURIER-Wertung: **** von *****

Julia Franck - "Rücken an Rücken"

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Zwei Tage haben sie das Haus geputzt, sogar mit Asche die Türschnallen, und gekocht haben sie. Dann kommt Mutter heim, eine Bildhauerin, macht grußlos Briefe auf, telefoniert, schimpft, weil im Garten Blumen für die Vase gepflückt wurden ... "Rücken an Rücken" sitzen die Geschwister Ella und Thomas und überlegen, ob sie weglaufen sollen.

Elf, zwölf waren sie damals. Aber sie tun es auch mit 15, 18. Hänsel und Gretel in der DDR, Ende der 1950er-Jahre. Die haben einander sehr lieb. Doch gegen die Angriffe von draußen, z. B. vom Stasi-Offizier, der sich als Untermieter und als Vergewaltiger eingenistet hat, haben sie keine Chance.

Also wieder einmal Literatur mit DDR. Damit hat erst vor Wochen Eugen Ruge den Deutschen Buchpreis gewonnen ("In Zeiten des abnehmenden Lichts").
Kalt war die DDR.

"Das Mädchen" von Angelika Klüssendorf war mit der Gefühllosigkeit ins heurige Buchpreis-Finale gekommen, und der in einem DDR-Waisenhaus allein gelassene Peter Wawerzinek hat mit seiner Geschichte voriges Jahr den Bachmann-Preis nach Berlin geholt.

Jetzt Julia Franck, 1970 in Ostberlin geboren. Sie porträtiert eine Rabenmutter, die den Mund für ein "besseres Deutschland" aufreißt.

Den Satz "Bin ich Mutter von Beruf?" kennt Julia Franck zu gut: Ihre Großmutter hat ihn gern bemüht. Die war Bildhauerin. Ihr Sohn brachte sich um.

2007 wurde Francks Roman "Die Mittagsfrau" (über Eltern und Kinder ) berühmt. In "Rücken an Rücken" ist sie erneut in ihrer Familie unterwegs. Und vor allem traurig. Und manchmal unter ihrem Niveau um Poesie bemüht. Verliert ein Baum ein Blatt, dann heißt es zum Entsetzen der Leser:
"Es gab keine Begattung mehr im Herbst des Ahorns, nur Tod,
und der überstrahlte prächtig das Werben anderer Tode."

KURIER-Wertung: ***
von *****

Judith Schalansky - "Der Hals der Giraffe"

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Die deutschen Feuilletons frohlockten angesichts des "humorvollen Tons" von Judith Schalanskys "Der Hals der Giraffe".

Ob Schalanskys Protagonistin Inge Lohmark humorvoll oder zynisch ist, ist wohl Geschmackssache. Als Biologielehrerin am Charles-Darwin-Gymnasium in einer Kleinstadt in Vorpommern ist sie eine der letzten ihrer Art. Sie ist für Anpassung, für Frontalunterricht und die Schüler haben die Lehrer gefälligst zu siezen. So war das schon vor dreißig Jahren in der DDR, und so hat das auch zu bleiben. Aber die Schule wird ohnehin bald zusperren, es sind nicht mehr genug Kinder da. Die, die da sind, kann Inge Lohmark nicht besonders leiden. Ebenso wenig wie ihre Kollegen, ihren Mann und ihr ganzes Leben.

Anstrengend. "Was war das schon, Liebe? Ein scheinbar verdichtetes Alibi für kranke Symbiosen." In der Mitte des 222 Seiten starken Bandes kommt endlich Grund für die Übellaunigkeit: die Mutter. Man kennt das. "Es war ihr immer ein Rätsel, dass diese Frau sie geboren haben sollte."

Bemerkenswert passend ist der Leineneinband. Schön und klar wie die Sprache des Buches. Grob und grau wie die erbarmungslose Erzählung selbst. - B. Mader

KURIER-Wertung: **** von *****