Interview mit Shirin Neshat: Endlich einmal kein tragisches Ende
Von Alexandra Seibel
Schon möglich, dass man in unserer Weltgegend nicht weiß, wer Oum Kulthum ist. In der gesamten arabischen Welt, Israel und dem Iran jedoch ist die ägyptische Sängerin ungefähr genauso berühmt wie bei uns Maria Callas. Oder die Beatles.
Die wohl bekannteste iranische Film- und Foto-Künstlerin Shirin Neshat wirft in ihrem neuen, charismatischen Spielfilm „Auf der Suche nach Oum Kulthum“ (Filmstart: Freitag) einen sehr persönlichen Blick auf die legendäre Sängerin.
„Auf der Suche nach Oum Kulthum“ erzählt einen Film im Film: Eine iranische Regisseurin namens Mitra arbeitet an einem Porträt über Oum Kulthum und versucht, sich so dem Mythos der ägyptischen Sängerin annähern. Doch die Dreharbeiten werden zunehmend problematischer und stürzen die Filmemacherin in eine professionelle und persönliche Krise.
Ein Gespräch mit Shirin Neshat, die 1957 im Iran geboren wurde und heute in New York lebt, über Mütter, Mythos und das Metro-Kino.
KURIER: Bei uns ist Oum Kulthum kaum bekannt, aber Sie sind wahrscheinlich mit ihrer Musik aufgewachsen. Was hat Sie an der Sängerin fasziniert?
Shirin Neshat: Ich kenne Oum Kulthum seit meiner Kindheit im Iran, wo meine Eltern immer ihre Musik gehört haben. Ich wollte mich in meinem neuen Projekt nicht mehr mit der iranischen Gesellschaft beschäftigen und fand Oum Kulthum einfach faszinierend. Frauen und Musik waren ja immer schon mein Thema , und es gibt etwas, das Oum Kulthum ganz besonders macht: Im Gegensatz zu sehr vielen westlichen Sänger-Ikonen wie Edith Piaf, Billie Holiday, Maria Callas oder Nico nahm sie kein tragisches Ende. Sie war der größte Star des 20. Jahrhundert im Nahen Osten und wurde weder von Männern missbraucht, noch nahm sie Drogen oder wollte sich umbringen. Stattdessen war sie erfolgreich bis zu ihrem Tod. Und vier Millionen Menschen kamen zu ihrem Begräbnis.
Trotzdem erzählen Sie kein klassisches Biopic, sondern von einer Frau, die am Mythos Oum Kulthum scheitert. Warum?
Ein Biopic erschien mir zu langweilig und ich habe nach Alternativen gesucht. Ich mich gefragt: Warum mache ich überhaupt diesen Film? Was daran ist mir wichtig? Wie fühlt es sich für eine Künstlerin aus dem Nahen Osten an, einen Film über einen weiblichen Mythos zu drehen? Mit diesen Fragen im Kopf habe ich die Figur der Regisseurin Mitra entworfen.
Mitra ist Exil-Iranerin, die ihr Land und ihren Sohn verlassen hat, um ihre künstlerische Karriere zu verfolgen. Sie ist von Schuldgefühlen geplagt. Haben Sie eigene Erfahrungen verarbeitet?
Meine eigenen Erfahrungen sind definitiv eingeflossen, wenn auch in dramatisierter Form. Aber es geht darum, was es bedeutet, Mutter zu sein, im Exil zu leben und Künstlerin sein zu wollen. Ich selbst bin Alleinerzieherin und ich kenne die Schwierigkeit, zwischen Arbeit und Familie die Balance zu halten. Während der Dreharbeiten zu dem Film wollte ich herausfinden, wie es sich anfühlt, ein Mythos zu sein, unter die Haut von Oum Kulthum zu kriechen. Aber irgendwann dachte ich mir: Sie ist ein Mythos. Ich bin keiner. Ich darf scheitern. Und sie hat sich selbst nie erlaubt zu scheitern.
Es gibt eine Szene, in der Sie eine Demonstration von 1919 in Kairo zeigen, wo sich Frauen die Schleier vom Gesicht reißen. Wollten Sie an eine feministische Tradition in der muslimischen Welt erinnern?
Oh ja. Heute spricht man vor allem über den Opferstatus der Frauen, wo sie doch tatsächlich einmal sehr entschieden und laut aufgetreten sind. In Ägypten gab es bereits 1919 eine unglaublich starke, feministische Protestbewegung. Insofern fand ich es wichtig, eine Szene im Film zu zeigen, wo Oum Kulthum – noch sehr jung und religiös – in Kairo damit in Berührung kommt.
Es gibt tolle Gesangsaufführungen mit der Musik von Oum Kulthum vor Publikum, eine davon wurde in Wien, im Metro-Kino gedreht.
Das war fantastisch und ein unglaublich emotionaler Dreh. Ich habe in Wien ausschließlich arabische Flüchtlinge gecastet, die das Publikum gespielt haben. Sie lieben die Musik von Oum Kulthum. Es war noch eindrucksvoller als die Dreharbeiten in Marokko: Dort lieben die Leute Oum Kulthum auch, aber in Wien sind sie komplett verrückt geworden. Das war ein großartiges Erlebnis.