Kultur

Interview mit Alexander Scheer: “Den kennt doch keiner“

Alexander Scheer gehört zu den wandlungsfähigsten Schauspielern seiner Generation. In keinem seiner Film erkennt man ihn wieder. Bekannt wurde der heute 42-jährige gleich mit seinem Filmdebüt in Leander Haußmanns DDR-Komödie „Sonnenallee“. Seit damals verschwindet er in seinen Rollen.

In Andreas Dresens vorzüglicher Tragikomödie „Gundermann“ (derzeit im Kino) verwandelt sich Scheer in den deutschen Liedermacher Gerhard „Gundi“ Gundermann, der sich im Osten als „singender Baggerfahrer“ großer Popularität erfreute. Nach der Wende wurde 1995 bekannt, dass Gundermann für die Stasi, die Geheimpolizei der DDR, gearbeitet hatte.

Alexander Scheer, selbst geborener Ost-Berliner, über seine Kindheit in der DDR, Stasi-Spitzel, Coolness und Rock’n’Roll.

KURIER: Herr Scheer, Sie sind bis zum Alter von 14 Jahren in Ost-Berlin aufgewachsen. Haben Sie damals die Musik von Gerhard Gundermann gehört?

Alexander Scheer: Sowas von nicht. (lacht) Mit 14 wollte ich erstmal nur Westplatten, Westplatten, Westplatten. Stones, Zappa, Hendrix, Led Zeppelin, Rock’n’Roll. Und so ein Ost-Liedermacher mit Brille, der hatte einfach keine Chance. Klar wusste ich, dass es ihn gibt, wie er heißt und wie er aussieht. Aber mir war der einfach zu ostig. Doch jetzt, wo ich alle Lieder gehört habe, muss ich wirklich sagen, dass ich über 25 Jahre lang einen der größten Songschreiber aller Zeiten verpasst habe.

War Gundermann so eine Art Wolf Biermann mit Stasi-Akte?

Biermann war anders. Man hat ihn ja 1976 aus Köln nicht mehr in die DDR zurück gelassen – anders sind sie mit ihm nicht fertig geworden. Das war der Anfang vom Ende. Sehr viele Künstler sind danach aus der DDR weggegangen – wie Katharina Thalbach oder Manfred Krug („Liebling Kreuzberg“, Anm.) Krug hat übrigens sehr tolle Platten im Osten gemacht, richtig guten Funk. Seine Platten habe ich gehört.

Gundermann war ein überzeugter Sozialist und wollte auch seine Mitgliedschaft bei der SED nicht zurück legen.

Klar kann man sich fragen, wie jemand zehn Jahre nach Biermann so idealistisch an den Sozialismus glauben konnte. Aber man muss auch sagen, dass Gundermann nicht in Berlin, sondern in der Provinz lebte. Und dort war es anders.

Wie erinnern Sie sich an die DDR?

In dem Jahr 1989/1990 war ich zweimal 14, einmal im Osten, einmal im Westen. Da ist unglaublich viel passiert. Deswegen habe ich an die DDR Kindheitserinnerungen, aber Heimatgefühle habe ich zu keinem der beiden deutschen Staaten. Ich bin bipolar sozialisiert. (lacht) In den 90er Jahren ist dann auch keiner mehr in die Schule gegangen. Die Hälfte der Lehrer war bei der Stasi, die andere Hälfte erzählte denselben Quark noch einmal – nur andersrum. Der ganze Jahrgang, die ganze Schule, ganz Ost-Berlin ist sitzen geblieben. Alles, was ich machen wollte, war plötzlich legal. Ich bin nur ins Kino gerannt. Dann ging’s in die Clubs, wo Techno-Partys liefen. In der Schule wurde geschlafen.

Ihr Rollendebüt war in der DDR-Komödie „Sonnenallee“. Da geht es viel um die Sehnsucht nach der eigenen Jugend.

Richtig, da muss ich meinen Freund Leander Haußmann zitieren, der in einem Interview sagte: „Jeder Mensch hat das Recht, seine Jugend zu verklären.“ „Sonnenallee“ war der erste Film, wo der Osten über sich selber lachen konnte. Zuerst wollte keiner den Film machen, und es hieß: „ Eine Komödie an der Mauer? Das wird nicht laufen.“ Dann ging der Film durch die Decke und alle drehten Ostfilme.

„Gundermann“ wollte anfänglich auch niemand haben, oder?

Das stimmt. Andreas Dresen wurde bei den Förderstellen gefragt: „Wer ist denn dieser Gundermann? Den kennt doch keiner.“ Und Dresen sagte: „Und wer ist Toni Erdmann? Den kannte auch keiner. Muss man die Leute kennen, über die man einen Film macht?“ (lacht)

Muss man sich aus der Ex-DDR kommend selbst erklären?

Du bist immer in einem Erklärungszwang. Du musst dein Leben rechtfertigen. Es ist, als wäre ich in zwei Filmen aufgewachsen, und der eine davon ist in Schwarz-weiß. Und dann heißt es immer: „Ihr hattet es ja auch so schwer.“ Und es war ja auch nicht so einfach, aber vieles war auch lustig. Man denkt ja nicht die ganze Zeit an Politik. Aus einem gewissen Blickwinkel heraus kann ein Zickzack-Kurs auch gerade sein. Mein Freund Flake (Christian Lorenz, Anm.) von der Band Rammstein hat auch in anderen Bands gespielt. Eine hieß „Die Firma“ – und jeder wusste, was gemeint war (die Stasi, Anm.) Flake erzählte, dass alle wussten, dass die Bassistin bei der Stasi, war – und das war super, weil dadurch die Stasi nicht auf ihre Konzerte kam und sie spielen konnten, was sie wollten. Die Bassistin hat nachher in ihrem Bericht geschrieben: „Keine besonderen Vorkommnisse.“

Hoyerswerda geriet wegen ausländerfeindlichen Übergriffen in die Medien, jetzt wieder gerade andere Gebiete in der Ex-DDR.

Ich weiß, dass gerade die glühendsten Kommunisten heute die größten Nazis sind. Das hängt damit zusammen, dass ihnen das gesamte Leben und ihre komplette Arbeit weggebrochen ist – aber das soll nichts entschuldigen. Und ich kann dies Gejammer „Wir armen Ostler“ nicht mehr hören. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Sie haben sieben biografische Rollen gespielt. Man erkennt Sie praktisch in keiner Rolle wieder, so sehr verschwinden Sie darin.

Danke, das ist es, worum es mir geht – Verwandlung. Und wenn man einen echten Menschen spielen kann, ist das ein Geschenk. So eine Figur wie Keith Richards oder Blixa Bargeld oder Gerhard Gundermann kann man sich nicht ausdenken. Auf Keith Richards habe ich mich sechs Monate vorbereitet – für sechs Drehtage. Auf Blixa Bargeld (Sänger der Einstürzenden Neubauten, Anm.) sechs Wochen für drei Drehtage – das ist ungefähr so effizient wie die DDR-Wirtschaft.

Eitel sind Sie jedenfalls nicht, so wie Gundermann aussieht – mit der riesigen Brille und dem dünnen Zopf.

Meine Freundin sagte damals: „Gib’s doch zu, du bist nur Schauspieler geworden, damit du die coolste Sau bist.“ Da konnte ich nicht widersprechen. Dann sagte sie: „Dann sei doch froh, dass du endlich mal eine Rolle spielst, wo du so sein kannst, wie du wirklich bist: Uncool.“ (lacht)

Es gibt ein kurioses Video auf YouTube von Ihnen, wo Sie mit einer Band namens „Gruppe Pegel“ „Ghostbusters“ singen. Wären Sie gerne Popstar?

Stimmt. Das war ein Sommer-Spaß-Projekt in Wien. Ich hab als Schlagzeuger angefangen. Dann kam die Rolle Keith Richards und ich habe zur E-Gitarre gegriffen. Und ganz ehrlich: Shakespeare in allen Ehren, und auch Kino in allen Ehren: Es geht nichts darüber, mit seinen Freunden auf der Bühne zu stehen und Rock’n’Roll zu spielen. Da kannste alles andere in die Tonne treten. Die Girls tanzen, die Drinks sind for free und die Gage gibt’s Cash. Rock’n’Roll!

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