"Infantile Positionen" bei ORF-Talk zu Kopftuchverbot
Von Peter Temel
* Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Kopftuchdebatten sind üblicherweise Quotenbringer. Bei der ORF-Talkreihe „Im Zentrum“ diskutierte man am Sonntagabend über „eine Frage der Freiheit: Wie untragbar ist das Kopftuch?“ Aktueller Anlass war die Debatte um ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Volksschulen, die vor einer Woche von der schwarzblauen Bundesregierung angestoßen wurde.
Die Diskussion verlief auf zwei komplett getrennten Ebenen: Die generelle Kopftuchdebatte spielt sich hauptsächlich zwischen der islamkritischen Autorin Zana Ramadani und der bloggenden Kopftuchträgerin Khola Maryam Hübsch ab, und zwar nach den bekannten Konfliktlinien. Da wird einerseits das Kopftuch als Symbol für überkommene patriarchische Strukturen und „Geschlechter-Apartheid“ abgelehnt. Die Gegenseite bezieht sich auf die individuelle Freiheit, seine Religion ausleben zu dürfen und auf eine in den Grundsätzen friedfertige Ausrichtung des Islam.
Während sich die beiden Gäste aus Deutschland gegenseitig scharf attackieren, verläuft die zweite Diskussionsebene, nämlich jene der aktuellen politischen Debatte in Österreich, gar nicht so ruppig wie man erwarten könnte.
Neos-Chef Matthias erklärt, er weise schon seit Langem darauf hin, dass bei der Integration Dinge falsch liefen und berichtet von Chauvinismus unter jungen Muslimen. Die Regierung aber beschränke sich ausschließlich auf symbolische Politik, ohne die Probleme an der Wurzel zu packen, kritisiert der Neos-Klubobmann.
Auch wenn Strolz seine Kritik vergleichsweise sachte formuliert, löst sie bei FPÖ-Klubobmann Johann umgehend einen Beißreflex aus: „Herr Strolz versteht das Wort Integration nicht.“ Mit dem aktuellen Gesetzesvorhaben wolle man "junge Mädchen vor ihren Elternhäusern schützen“, sagt Gudenus.
Von Ehrenmord bis Zwangsverheiratung
Was folgt, ist ein ausführliches Referieren über Integration, was für Gudenus offensichtlich gleichbedeutend mit der Warnung vor einer drohenden „politischen und kulturellen Islamisierung“ ist. Er platziert gefühlt jedes Schlagwort der in den Jahren der blauen Opposition perfekt einstudierten Angstpolitik: „Zwangsbeschneidungen, Zwangsverheiratungen, Terrorismus, Nichtintegration ins Schulsystem und ins Arbeitsmarktsystem, Ehrenmorde“.
Auch das Verächtlichmachen wird aus dem Repertoire geholt: Der blaue Klubobmann findet es „arg und interessant, dass es so weit kommen konnte in Europa, dass wir immer mehr über Islamisierung sprechen müssen und über Burka, Kopftuch, Nikab und den ganzen Firlefanz.“
Aber dem nicht genug, holt Gudenus in seinem Eingangsstatement noch einen weiteren gut erprobten Knüppel aus dem Rhetorik-Sack: Die Diffamierung des politischen Gegners. Linke Parteien wie auch die SPÖ unter Christian Kern würden Allianzen mit islamistischen Bewegungen suchen, sagt Gudenus tatsächlich.
Die Wählerklientel der FPÖ ist also bereits nach zehn Minuten perfekt bedient und könnte jetzt den Fernseher ausschalten. Denn Gudenus trifft nicht auf besonders harten Widerspruch, weder vonseiten des Moderators noch der vier Mitdiskutanten.
Immerhin: Moderator Tarek Leitner weist zumindest auf die Abwesenheit der angesprochenen SPÖ hin. Umso schwerer ist zu verstehen, dass die Opposition in diesem Fall von den Neos und nicht von der SPÖ vertreten wird. Denn auch im Folgenden reitet der in der Wiener Politik groß gewordene Gudenus weitere Angriffe gegen das „rotgrüne Wien“, wo „Sozialwohnungen und Mindestsicherung wie Milch und Honig fließen“. Auch hier keine Entgegnung im Studio.
Wer pointierte Reaktionen auf Gudenus‘ Aussagen sucht, wird nur in den sozialen Medien fündig. Auf Twitter reagierte etwa der Politikberater Rudi Fußi besonders heftig: „Mir ist jeder Flüchtling am A**** lieber als der Gudenus im Gesicht. Es ist inakzeptabel, dass derartige Hetzer in einer Regierung(spartei) unseres Landes sitzen.“ Die Ausfälligkeiten Fußis waren der Online-Krone sogar einen eigenen Bericht wert.
Probleme aufkochen
In der Sendung hielt lediglich der deutsche Soziologe Kenan Güngör etwas dagegen. Wenn Gudenus sage, das Kopftuchverbot bis zum Ende der Volksschule sei nur der erste Schritt und man prüfe auch ein Verbot in höheren Schulstufen bis zur Universität, dann zeige dies eine Tendenz der Regierungspolitik, nämlich „Probleme über einen längeren Zeitraum hinweg aufzukochen“.
Es gebe tatsächlich ein Problem, sagt Güngör, aber das aktuelle Regierungsvorhaben betreffe eine Gruppe, die nur homöopathisch wahrnehmbar sei.
Strolz hält ebenfalls eine Erhebung der tatsächlichen Zahlen für notwendig. Die Neos hätten dazu eine parlamentarische Anfrage vorgelegt. Er selbst gehe aber von österreichweit „nur ein paar hundert Fällen“ aus.
Gudenus hingegen spricht von „einigen tausend Fällen in Österreich“.
Wie er zu seiner Annahme komme?
Das sehe man „mit freiem Auge“ im „rotgrünen Wien“, sagt Gudenus.
Damit gibt der FPÖ-Klubchef immerhin zu, dass das Phänomen hauptsächlich auf den Raum Wien beschränkt sein dürfte. Dass Leitner daraufhin im Publikum einen stellvertretenden Direktor einer Berufsschule in Eibiswald befragt, dem bisher keine Kopftuchträgerin an seiner Schule bekannt gewesen ist, erscheint etwas kurios. Die Frage betrifft eine südsteirische 1.500-Einwohnergemeinde und dazu noch die falsche Altersgruppe.
"Aber das ist Rechtspopulismus"
Gudenus lässt sich durch die Zahlenfrage ohnehin nicht beirren, und legt noch einmal etwas drauf. Er spricht von „Leuten aus Kulturkreisen, die per se nicht fähig sind sich en gros zu integrieren, dazu zählen meistens muslimische nichteuropäische Länder.“ Die FPÖ wolle „Sozialleistungen für Leute, die aus diesen Kultrkreisen kommen, minimieren, damit sie keine Lust mehr haben zu kommen“.
Und dann kommt er, der konkrete Einzelfall: Gudenus zitiert den Bericht einer Boulevardzeitung, wonach es das Wiener AKH einer „Burkafrau“, wie Gudenus sagt, durchgehen habe lassen, den Vater einer Bettnachbarin des Zimmers zu verweisen. Den Wahrheitsbeweis bleibt Gudenus schuldig.
Unmittelbar vor diesen Aussagen hatte Bloggerin Hübsch gesagt: „Jetzt kommt die hässliche Fratze ans Licht.“
Ramadani zu Hübsch: „Na, Sie sollten nicht beleidigend werden.“
Hübsch: „Aber das ist Rechtspopulismus …“
Dass der Begriff „Rechtspopulismus“ in Österreich kaum noch jemanden wirklich schreckt, dürfte dem Gast aus Deutschland nicht klar gewesen sein.
Schlusswort
Der in Wien tätige Soziologe Güngör kennt die Verhältnisse hierzulande wesentlich besser. Er nimmt viele Aussagen an diesem Abend mit einem Lächeln zur Kenntnis, kontert immer wieder klug und liefert ein würdiges Schlusswort. Güngör: "Diese Plakativität von ‚Das ist alles kein Problem‘ und ‚Alles ist nur ein Problem‘ wird uns nicht weiterbringen. Das sind infantile Positionen. Ich glaube, wir müssen eine dritte Sprache entwickeln, wo wir ein Stück weit erwachsener werden.“
Ganz lässt sich Moderator Leitner das Schlusswort natürlich nicht nehmen. Seine Verabschiedung vom „Im Zentrum“-Publikum gilt für längere Zeit. Denn am 15. April wird die standardmäßige Gesprächsleiterin, Claudia Reiterer, aus ihrer krankheitsbedingten Pause zurückkehren, wie Leitner ankündigt.