"Hidden Figures - Unerkannte Heldinnen": Wo geht es hier zur Damentoilette?
Von Alexandra Seibel
Natürlich wird sie sofort mit der Putzfrau verwechselt. Kaum hat Katherine Johnson ihren Fuß ins Büro der NASA gesetzt, wird ihr umgehend der Mistkübel in die Hand gedrückt.
Unnötig zu erwähnen, dass anno 1962 bei der Weltraumbehörde vor allem weiße Männer arbeiten. Eine Frau – noch dazu Afroamerikanerin – gilt als Provokation. Keiner will mit Katherine zu tun haben. Sogar eine eigene Kaffeekanne wird ihr zugewiesen, denn zu diesem Zeitpunkt herrscht in den USA noch Rassentrennung.
Katherine Johnson ist eine von drei brillanten Mathematikerinnen, deren Hautfarbe und Geschlecht sie im Schatten der Geschichtsschreibung verborgen hielten. Sie und ihre Kolleginnen Dorothy Vaughn und Mary Jackson leisteten Pionierarbeit bei NASA. Ihren Karrieren widmet Hollywood nun einen rundum geglückten "Feel-Good"-Film mit dezentem Hang zum Salbungsvollen.
Pinkeln
Die USA befinden sich im Wettlauf mit den Russen um die Eroberung des Weltalls. Die besten Mathematiker müssen die Flugbahn der Rakete berechnen und sind mit ihrem Latein am Ende.
Auftritt Katherine Johnson: Beharrlich verklickert sie ihrem Chef – endlich wieder Kevin Costner! – die notwendigen Maßnahmen, um zu Ergebnissen zu gelangen. Dazu gehört zuerst einmal ein Klo. Katherine darf nicht die Toiletten der weißen Angestellten benutzen und muss jedes Mal kilometerweit über das NASA-Gelände rennen. Irgendwann reicht es auch dem Vorgesetzten: "Hier bei der NASA pinkeln wir alle dieselbe Farbe."
Hinter der exzellent ausgestatteten Textur einer Epoche und den schönen Farben der Sixties schreit der Rassismus. Theodore Melfi erzählt weiße Überheblichkeit als (historische) Beschämung, konzentriert sich aber vor allem auf die Durchschlagskraft seiner drei Heldinnen.
Und die drei Ladys sind umwerfend. Taraj P. Henson als Katherine wirft durch ihre Brille so kühle Blicke, dass auch ihrem Verehrer das Patriarchat vergeht. Octavia Spencer als Dorothy Vaugh füttert den Computer, wenn ihre Umgebung noch nicht einmal weiß, was genau das eigentlich ist ("Wie heißt die Maschine noch?" – " IBM.")
Und Janelle Monáe als Mary Jackson flirtet kokett mit dem Astronauten John Glenn: "Gleiches Recht für alle." Genau. Noch ein Grund, diesen Film zu mögen.
INFO: USA 2016. 127 Min. Von Theodore Melfi. Mit Octavia Spencer, Kevin Costner.
KURIER-Wertung:
Regen in Rom. Ein korrupter Politiker namens Manfredi möchte sich nach einer anstrengenden Parlamentssitzung ein wenig beim Sex mit zwei Prostituierten und einer Prise Koks erholen. Was er nicht geplant hat: Eines der Mädchen – noch dazu eine Minderjährige – erwischt eine Überdosis und stirbt zwischen den Bettlaken. Gar nicht gut für’s Politiker-Image. Die Leiche muss unauffällig entsorgt werden – und ab dann kommt die Mafia ins Spiel.
Sieben Tage bis zur Apokalypse zählt Regisseur Stefano Sollima in seinem zügig inszenierten Neo-Noir-Mafia-Thriller herunter, ehe er zum blutigen Finale schreitet. Mit der akklamierten TV-Serie "Gomorrah" machte sich Sollima einen trefflichen Namen, wenn auch der Beginn von "Suburra" mit seinem Party-Setting an eine schwache Version von Paolo Sorrentinos "La Grande Bellezza" erinnert. Doch davon erholt sich der dicht gestrickte, atmosphärisch beklemmende Rom-Krimi schnell: Elegant, mit Hang zum Trash, verzahnt Sollima die Machenschaften rivalisierender Mobster-Gruppen miteinander – von den Niederungen einer Junkie-Existenz bis in die Ränge des Vatikans.
Es beginnt am 5. November 2011: Papst Benedikt steht vor der Zurücklegung seines Amtes. Die geistliche Krise korrespondiert mit dem fiesen Streben Manfredis, ein Gesetz zu verabschieden, mit dessen Hilfe der römische Vorort Ostia in ein Spielparadies wie Las Vegas verwandelt werden soll. Wer von den Anrainern seinen Besitz nicht verkaufen will, dem werden die Knie gebrochen.
"Gypsie"-Gangster
Die faulige Politiker-Entscheidung im Dienste von Macht und Geld setzt eine Kettenreaktion unter den Mobstern in Gang: Der klassische Mafia-Pate wird gegen eine Gruppe von "Gypsie"-Gangstern in Stellung gebracht. Rom erscheint als verschlammte, meist nächtliche Stadt im Dauerregen – und zuletzt überhöht Sollima die sumpfigen Niederungen einer korrupten und kriminellen Gesellschaftsklasse ins lustvolle Revenge-Drama.
INFO: I/F 2015. 130 Min. Von Stefano Sollima. Mit Greta Scarano, Pierfrancesco Favino, Claudio Amendola.
KURIER-Wertung:
Man muss gar nicht erst an Martin Scorsese denken, um Ben Afflecks Variation des Gangster-Genres als gescheitert zu empfinden. Leblos, temperamentfrei und in lähmender Langeweile breitet Affleck das Schicksal eines Mannes aus, der in den 20er Jahren in Florida für die Mafia den Alkoholschmuggel kontrolliert. Affleck spielt ihn selbst, doch nicht einmal sein ausdrucksstarkes Kinn bietet genug Attraktion, um uns zwei Stunden im Bann der Leinwand zu halten.
Dass er ein gutes Händchen für Regie hat, bewies Affleck etwa mit seinem kurzweiligen Iran-Thriller "Argo": Flott inszenierte er das US-Geiseldrama als süffiges Stück Unterhaltungskino. Ein kompaktes Drehbuch ließ ihn die Handlung anhand spannender Ereignisse abspulen. Doch bei seinem Gangsterfilm funktioniert das nicht. Generische Allgemeinplätze wie Bandenkriege oder Liebesverrat gehört da zu den Spitzen des Eisberges; was dahinter liegt, wäre interessant. Doch Affleck hat keinen Sinn für’s Detail. Er erzählt die Karriere seines Mafiosos wie offizielle Geschichtsschreibung: Spektakulär, vorhersehbar, pathetisch. Keine Sekunde kann man sich für seine Figuren interessieren. Dann lieber doch gleich Scorsese.
INFO: USA 2016. 129 Min. Von und mit Ben Affleck. Mit Brendan Gleeson, Chris Cooper, Elle Fanning.
KURIER-Wertung:
Wieso verkaufte ihm Timm überhaupt sein Lachen? Das war das Geschäft, das er mit dem Teufel gemacht hat: Der Baron bekam sein Lachen, und dafür wurde Timm der reichste Junge der Welt, der jede Wette gewinnt. Timm konnte sagen: Wetten, dass ich die 60 Blechdosen auf dem Rummelplatz treffe – und es funktionierte. Wetten, dass ich morgen auf den Kanarischen Inseln bin – und er war da.
Das war ja das Absurde an dieser Story: Mit einem einzigen Satz hätte die Geschichte schon am Anfang zusammenfallen können: Einfach, indem Timm Thaler gleich am Anfang sagt: Ich wette, dass ich mein Lachen zurückgewinne!
Doch dann wäre aus der ganzen Geschichte kein Film geworden, in dem Timm merkt, dass ein Mensch ohne Lachen kein richtiger Mensch ist – gleich, wie viel Reichtum er anhäuft. Timm schmiedet einen Plan, wie er sein Lachen zurückerobern kann.
Die von dem deutschen Schriftsteller James Krüss im Jahr 1962 veröffentlichte Geschichte von Timm Thaler wurde mehrfach verfilmt und war in den 1970er-Jahren auch Stoff für eine erfolgreiche Fernsehserie. Mehr als 30 Millionen Menschen hatten damals vor dem Fernseher mitgefiebert. Jetzt hat Regisseur Andreas Dresen den Stoff neu verfilmt.
Auf den ersten Blick ein ungewöhnlicher Film für Dresen, der vor allem für seine preisgekrönten Sozialdramen bekannt ist. Statt Improvisation und Handkamera setzt er diesmal auf opulentes Märchenkino, in dem unter anderem ein verkleideter Gaddafi und Kim el Sung auftreten – wohl um zu zeigen, dass einem angesichts der Welt außerhalb des Kinos uns allen das Lachen leicht vergehen kann. Schöne Bilder, eine gefällige Geschichte und einige emotionale Szenen.
Text: Gabriele Flossmann
INFO: D 2016. 102 Min. Von Andreas Dresen. Mit Arved Friese, Axel Prahl.
KURIER-Wertung: