Kultur

Herbert Föttinger: Schalko soll Theaterstück schreiben

Erschöpft von der Probe, aber kein bisschen leise, spricht Föttinger über Grappa im Spital, den "Dreckskerl" Schnitzler, alte Männer und die Lust, seine Konkurrentin Anna Badora, die Quoten von "Altes Geld" und einen Stückauftrag für David Schalko.

KURIER: Sind Sie wirklich mit einer Flasche Grappa an Peter Turrinis Spitalsbett erschienen, um an der Neufassung von "Anatol" zu arbeiten, wie er im KURIER-Interview erzählte?

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Herbert Föttinger: Turrini literarisiert alles, mich eingeschlossen. Es stimmt, dass ich mit einer Flasche Grappa im Spital war, aber vor der Operation und nicht nachher. Ich rufe ihn auch nicht um sieben Uhr Früh an und überfalle ihn grußlos, wie er behauptet. Meistens ist es schon acht oder halb neun und ich sage immer zuerst: "Geliebter Dichter."

Und wie ist es mit Ihrer viel zitierten, von Turrini erwähnten Lautstärke?

Gehen Sie durchs Theater und fragen Sie, wen Sie wollen. Alle werden Ihnen bestätigen, dass sie noch nie so einen ruhigen und besonnenen Direktor erlebt hätten.

Jetzt lachen Sie aber.

Lachen ist das Beste am Theater.

Wie war die Zusammenarbeit mit Turrini, abgesehen von Grappa und Grußformeln?

Intensiv und erfreulich wie immer. Ich wollte, dass "Anatol" in einem italienischen Tanzpalast spielt. Ich liebe Italien. Wir haben alles durchdiskutiert, über Wochen und Monate. Vor allem der Stellenwert der Erotik hat uns interessiert. Da reichen ein paar morgendliche Anrufe gewiss nicht aus. Die Erotik hat sich ja total verändert.

Inwiefern?

Bei Schnitzler ist Anatol ununterbrochen dem Weiblichen hinterher und will es ergründen. Das Weibliche war damals sehr verhüllt, rätselhaft. In meiner Generation, ich bin 1961 geboren, war das schon ein bisschen anders. Ich habe bei meinem Vater das Buch "Fanny Hill" gefunden mit Abbildungen von nackten Busen. Ich versichere Ihnen, dass mich ein Schauder durchzuckt hat, oder mehrere. Aber heute? Heute wachsen die Kinder mit youporn auf. In der Josefstädter Fassung des Anatol sitzen zwei alte Männer auf der Bühne und erinnern sich an die Vergangenheit der Lust. Das wirkt heute merkwürdig, komödiantisch.

Schnitzler war ja sehr freudianisch …

Vielleicht war Freud sehr schnitzlerisch? Er hat einmal gesagt, dieser Schnitzler schreibt ja alles auf, was ich erfinde. Das klingt nach Eifersucht. Beide waren Ärzte, Schnitzler ein Hals-, Nasen-, Ohrenspezialist. Ständig ist er auf stimmbanderkrankte Schauspielerinnen gestoßen, und diesem Umstand verdanken wir Weltliteratur. Im wirklichen Leben war Schnitzler ja zu manchen Frauen sehr arg, ein richtiger Dreckskerl. Aber in seiner Literatur hebt er sie in die Höhe der Verehrung. Sehr geschickt, diese Literaten, mit ihrer Literarisierung.

Ihr Haus funktioniert derzeit hervorragend, man ist versucht zu sagen, als einziges in Wien. Was machen Sie richtig, was andere falsch machen?

Ach was. Schon heute Abend beim "Anatol" kann ich etwas falsch gemacht haben. Das Theater ist wie die Arena. Einmal ist der Daumen oben und dann wieder unten. Kennen Sie die berühmten Ratgeber, die "Perlenreihe"? Die wissen für alles einen Rat, aber ein Buch mit dem Titel "Wie mache ich einen Erfolg nach dem anderen?" habe ich dort nicht gefunden.

Was geht gut in der Josefstadt?

Im großen Haus ist es der Feydeau und "Vor Sonnenuntergang". In den Kammerspielen ist "Blue Moon" ein Hit. Sona MacDonald singt 20 Songs, dazwischen gibt es Texte über Rassismus und Drogen. Immer ausverkauft. Aber das weiß man nicht im Vorhinein.

Die neue Konkurrenz am Volkstheater tut sich sehr schwer, derzeit.

Gemach, gemach. Jetzt ist Anna Badora kurze drei Monate am Werk, und die Zukunft des Volkstheaters liegt vor ihr und vor uns. Über Hans Gratzer stand schon nach zwei Monaten in der Zeitung: "So leer ist jetzt die Josefstadt." Eine Theatervorstellung kann voll sein und trotzdem schlecht sein, und umgekehrt kann es auch sein: Es ist leer und die Aufführung ist gut. "Altes Geld" von David Schalko wird vom Feuilleton bejubelt, über die Quotenentwicklung kann man geteilter Meinung sein.

Dennoch: Diese Serie, in der Sie eine Hauptrolle spielen, hat im Verlauf der Ausstrahlung zwei Drittel ihrer Seher verloren.

Ich habe heute morgen mit Turrini über die Serie geredet. Übrigens war es schon halb zehn. Wir waren beide der Meinung, dass sie eine großartige Parabel auf den Kapitalismus ist. Ein Mensch hat genug Geld, um sich eine neue Leber zu kaufen. Toll! Ich pfeif auf die Quoten. In ein paar Jahren ist die Serie Kult und alle wollen die Wiederholung sehen. David Schalko ist ein toller Schriftsteller, ich habe ihm einen Stückauftrag gegeben.

Wann kommt das Stück?

Wenn er fertig ist.