Kultur

Heinrichs große Stunde im Stadion

Der slicke Liliom (neudeutsch: "Warm-upper"), der sich "vorab mal" an das ausverkaufte Stadion wendet, heißt Aljoscha, sieht aus, als hätte er seine Kleidung in der Kurkonditorei Oberlaa erworben und fordert zum Auftakt drei Appläuse: "Erstens einen, dass ihr froh seid, hier zu sein. Zweitens einen, wo ihr die spitzen Schreie nicht vergesst und drittens das komplette Programm, aber hallo!"

Der Dressurakt glückt perfekt. Aljoscha sagt noch "Und jetzt stehen wir alle auf, weil Party im Sitzen, das geht gar nicht!", ehe es die Technik erstmals so richtig bunt treibt. Logisch: Die Tour heißt "Farbenspiel". Grüne Papierschlangen, gelbe Schmetterlinge, rote Nebelfontänen. Ein Countdown von 02:00 runter beginnt, von 10 auf Null skandieren 45.000 Kehlen und Seelen mit, als wär' Silvester. Dann endlich SIE.

Alles in einer

Und das ist Weihnachten, Ostern, Geburtstag und Silvester in einem für jeden. "Das ist unser Tag!", singt Helene Fischer im knackigen kurzen Knallgelben. Sie wird sich noch sechs Mal umziehen. Sie wird noch über der Menge schweben wie eine Artistin. Wenn sie ganz nah, zum Greifen nah, über den Köpfen und hochgereckten Händen ihrer Gläubigen glockenhell intonierend hinwegzischt, wirkt sie auch ein bisschen wie die nie erreichbare, unerreichte Lockspeise – schmachtende Blicke verfolgen sie auf ihrem minutenlangen Rundflug: So schön, so kühn, so tapfer, so ein Ereignis, wenn ich die Fischerin vom Boden seh'!

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Sogar die meisten Männer, die sich zu solchen Abenden häufig nur als Staffage mitzerren lassen, singen alle Texte buchstabengetreu mit. Die Schlagerbausteine: Eingängig, großspurig, austauschbar und damit unverwechselbar Helene Fischer.

"Die ganze Welt", "In meinem Traum", "Durch die Nacht", "Mitten im Paradies", "Tausendmal" und "Liebe pur". Was da als "Bestsellerie" über jede Liedsuppe gestreuselt wird, funktioniert seit Jahrzehnten, aber seit Jahrzehnten nicht mehr so gut und glatt wie mit der zierlichen Blondierten mit der verwegenen Bio: Mit vier aus Sibirien nach Deutschland, mit dem von der Mama heimlich eingeschickten Demo-Band in den Himmel voller Streicher aufgestiegen. Um über Nacht berühmt zu werden, heißt es, muss man tagsüber viel arbeiten. Auch das strahlt die zweifellos Hochbegabte aus. Viel Schweiß, viele Preise.

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Und neuerdings auch ein Anflug von Humor – die Kameras zoomen den mit 198,5 Meter am weitesten entfernt sitzenden Heinrich mit seiner Frau auf die Vidiwall. Das Gebot der frommen Helene: Von nun an sollst du Menschen "fischern". Der gute Mann, ein Endfünfziger mit leicht gequälter Miene, kriegt ein virtuelles Distanz-Selfie aufs Aug gedrückt – und plötzlich ist es sein Tag. Der blonde Engel hat seine Begeisterung wachgeküsst. Wenn er sich anfangs auch noch gedacht haben mag: "Es geht eh nur noch zwei Stunden, die sitze ich auf einer Backe ab" – ab heute ist er Sektenmitglied.

Noch so ein Helenist. Vielleicht sogar – sein Platz liegt schließlich am Juchee – am End’ sogar atemlos. Das muss noch gesagt sein: Den glitschigen Ohrwurm "Atemlos" singt Fischer zum Ausklang ZEHN Minuten lang. Drei Minuten länger als Kristina Bach brauchte, um das Lied zu komponieren. Für 45.000 ein Wahnsinnsereignis. Das ist vielleicht das Bemerkenswerteste an diesem Abend.