Freude über Schwedenbomben
Von Peter Pisa
Nachdem er sich für ein Deutschreferat intensiv mit Kafka beschäftigt hat, verließ Heinrich Steinfest den Unterricht Richtung Kaffeehaus und kehrte nicht mehr in die Schule zurück. Das war knapp vor der Matura und sein persönlicher "Process".
Er habe keine Luft mehr zum Atmen gehabt.
"Du gehst auch so deinen Weg", hatte seine Deutschlehrerin gesagt.
Steinfest malte; und ging putzen, um Geld zu verdienen. Er putzt gern, auch heute noch.
Jetzt ist er mit seinem Roman "Der Allesforscher" über einen glücklichen Bademeister unter den sechs Finalisten um den Deutschen Buchpreis, der am 6. Oktober in Frankfurt verliehen wird.
Als einziger Österreicher.
Marlene Streeruwitz und Michael Köhlmeier schieden vorzeitig aus.
Das mag überraschen. Aber für diese Würdigung Steinfests ist es an der Zeit.
Sprechende Ohren
Der 53-Jährige aus dem vierten Wiener Bezirk, der seit eineinhalb Jahrzehnten in Stuttgart lebt und malt und schreibt, war zu lang in einer Schublade eingesperrt, auf der "Krimi" steht.
Steinfest zum KURIER: "So klein ist diese Schublade ja nicht. Der Krimi kann alles und will alles. Und weil die Lade groß ist, ist da einiges an Mist und Monströsem wie auch einiges an Schönheit und Modernität zu entdecken. Ich finde also nicht, dass man als Krimiautor endlich mal ein ,richtiges‘ Buch schreiben muss, um sich literarisch zu betätigen. Doch die Etikettierung hat natürlich schon einige abgeschreckt."
Obwohl immer zu merken war, dass seine Bücher etwas Besonderes sind. Wo sonst gibt es im Krimi sprechende Ohren, böse Urzeitkrebse, eine exzentrische Lärche ...?
Wer sonst hat ausgerechnet, dass ein erwachsener Tyrannosaurus jährlich 292 Rechtsanwälte fressen müsste, um zu überleben?
" Wie es nicht passt, sich in Motorradklamotten zu einem Rendezvous einzufinden. Dass es manche Leute trotzdem tun, ist traurig. Der ,Allesforscher‘ ist ein Abenteuerroman, ein Familien- und ein Entwicklungsroman. Und er würdigt die Tiroler Bergwelt. "
Explodierte Niere
Es ist sein bestes Buch, wurde im KURIER im vergangenen Februar festgestellt, als "Der Allesforscher" im deutschen Piper Verlag erschienen ist. Weniger böse, ruhiger, langsamer. Ein Schritt in Richtung John Irving.
Zwar kommt kein Bär vor. Aber ein toter Wal, der in Taiwan in ein Forschungsinstitut transportiert wird – und explodiert. Die Walniere schießt auf einen Fußgänger zu, auf einen Kölner Manager. Er wird ein paar Tage im Koma liegen. Danach überlebt er auch einen Flugzeugabsturz, und dann reicht es ihm: Er wird Bademeister im "strengen, verbitterten" Stuttgart, rettet einer Ente das Leben, adoptiert einen Taiwanesen, wird immer glücklicher, lernt einen asiatischen Kaspressknödelmacher kennen und so weiter.
Alles klingt so logisch – sogar wenn sich eine tote Bergsteigerin im Messerwerfen ausbilden lässt. Es ist ein Fest. Es ist Zauberei.
KURIER: Was fällt Ihnen positiv auf, wenn Sie in Wien sind?
Heinrich Steinfest: Also ganz sicher, dass es trotz aller Schwierigkeiten noch immer Schwedenbomben gibt. Und dass die Wiener Busfahrer noch immer die freundlichsten auf der Welt sind – etwa im Unterschied zu Stuttgart, wo ich gern lebe, aber ungern Bus fahre. Als Romantiker freue ich mich halt über die Dinge, die es "noch immer" gibt. Etwa, dass der österreichische Fußball noch immer den Charme des Unfertigen und Experimentellen besitzt.
Der erste Eindruck nach der Ankunft ist immer ..?
Es sind die Werbeplakate, die immer absurder werden. Ein dadaistisches Gebrüll an den Wänden.
Kommen Sie trotzdem noch gern auf Besuch?
Je länger ich von Wien weg bin, umso mehr sehne ich mich nach dieser Stadt. Es gibt ja diesen berühmten Spruch, wie schön Wien ohne die Wiener wäre, aber man kann es auch anders sehen. So habe ich vor Kurzem in einem Film gehört, wie jemand meint, Wien sei wie Paris, aber ohne Franzosen. Wirklichkeit ist eine Frage der Zurechtlegung.
Erste Jahre
Heinrich Steinfest wurde 1961 in Australien geboren, wuchs auf der Wieden in Wien auf. Schulabbrecher, Babysitter, Bauarbeiter ... und Maler, Schriftsteller. Lebt in Stuttgart.
Krimis
Ende der 1990e- Jahre begann er mit seiner Krimiserie über den Wiener Chinesen Cheng, z. B. „Batmans Schönheit“ – wobei dieser Batman ein böser Urzeitkrebs ist. Zuletzt erschienen die philosophischen Kriminalromane „Gewitter über Pluto“, „Wo die Löwen weinen“ und „Die Haischwimmerin“.