Kultur

Harald Schmidt: "Für Deutschland reicht’s!"

Die Kritiker jubeln: "Harald Schmidt in Hochform!" Aber wo ist das Publikum? 1,4 Millionen Deutsche sahen die erste Sendung im September nach der Rückkehr zu SAT.1. Dann sank die Zuschauerzahl unter eine halbe Million. Im Konferenzraum seiner TV-Produktionsfirma Bonito in Köln tritt Schmidt im KURIER-Interview die Flucht nach vorne an.

Harald Schmidt: Kaffee? (Greift zur blauen Thermoskanne.) Schmeckt wie flüssiges Sodbrennen. Aber ich trinke ihn auch.

KURIER: Sie könnten das ändern. Sie sind doch der Boss?
Nachdem jetzt sogar Nordkorea taumelt, kann ich sagen: Absolut, ICH bin hier der Chef. Nicht der Geschäftsführer, aber der Hauptgesellschafter der Bonito GmbH.

Und aus Überzeugung in Köln, während Ihr Arbeitgeber SAT.1 in München sitzt?
Es sind doch schon bald alle in Köln! Dort drüben (zeigt aus dem Fenster) sitzt Raab. Und in der denkmalgeschützten Hülle der Alten Messe ist das Hauptgebäude von RTL, die beste Immobilie Kölns. Die schauen direkt auf den Dom!

Das wäre doch ein guter Grund, dort als Nachrichtensprecher anzuheuern!
Es gab noch nie ein Angebot von RTL an mich. Denn die sind Marktführer und (lacht glucksend) – haben was gegen Einstellige ...

Sie sprechen den Marktanteil Ihrer Sendung an? Der betrug zuletzt nur noch um die fünf Prozent, das ist die Hälfte des SAT.1-Durchschnittswerts. Interessant ist aber, dass die Quote in Ihrem Fernsehmacherleben nie eine große Rolle zu spielen schien?
Ja, man muss es so sagen. Aber das heißt nicht, dass man mich nicht rausschmeißen kann. Bei jemand anderem hätte man mit dieser Quote schon massiven Gesprächsbedarf angemeldet.

Bei Ihnen nicht?
Nein.

Bei Ihnen passiert paradoxerweise das Gegenteil: Sie bekommen einen dritten Sendetermin pro Woche.
Ja! Und ich bin sicher, es hilft dem Produkt. Das ist, wie wenn Sie eine Tageszeitung nur ein, zwei Mal in der Woche machen würden. So was funktioniert nicht. Die schiere Präsenz des Moderators ist wichtig, bei allem, was dem Zuschauer tagsüber widerfährt: privater Streit, beruflicher Stress, Eurokrise, geplatzter Urlaub. Und Abend für Abend kommt dieser Late-Night-Moderator raus und scheint gute Laune zu haben, das ist das ganze Geheimnis.

In den letzten Sendungen 2011 schienen Sie tatsächlich blendender Laune zu sein. Wann sind Sie am besten?
Für mich die lockerste Sendung hab ich am 21. Dezember gemacht, da hatten wir am Abend davor die desaströseste Quote seit Bestehen des Farbfernsehens.

Und das macht Sie locker?
Ja. Wenn das Desaster so richtig lodert, bin ich befreit. Mir macht der Beruf erst Spaß, wenn es richtig finster wird und knüppeldicke von draußen reinkommt.

Was kitzelt Sie da? Der Reiz, am Abgrund zu stehen?
Man sagt: Flirting with desaster. Das muss doch speziell für Wiener Leser nachvollziehbar sein, die Kapuzinergruft im Hintergrund (lacht). Man erwartet doch von mir, dass ich mich rechtfertige, die Quote erkläre. Aber ich sage: "Sie ist ein Desaster", und daraus beziehe ich eine Virtuosität, wie man sie seit Oskar Werner nicht erlebt hat.

Ist das nicht überzogen?
Nein, denn jetzt ist die zweite Herausforderung, das in ein Geschäftsmodell einzubeziehen, das es für den Sender finanzierbar macht.

Was heißt das konkret?
Es ist klar, dass der Sender mit einer Show Geld verdienen will. Wenn das nicht der Fall ist, müssen von mir begleitende Maßnahmen kommen – Veranstaltungen, Ideen, ein Geschäftsmodell, das dem Sender die Quote zweistellig erscheinen lässt ...

... weil das Paket Harald Schmidt so überzeugend ...
... so ÜÜÜNIQUE ist! Ja!

Darf ich Sie zitieren: "Mir fehlt die Fähigkeit zur Demut."
Das war ein Satz, den ich mal so rausgehau’n habe. Ich bin aber zum Beispiel sehr demütig gegenüber theatralischen Glanzleistungen.

Sie haben Schauspiel studiert und unter dem jetzigen Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann in Bochum den Lucky in "Warten auf Godot" gespielt – mit Auszeichnung!
Ja, ich war "Nachwuchsschauspieler des Jahres", da war ich auch erst 46 ...

Jetzt sind Sie 54 und wollen schon wieder aufhören, sagen: "Nie wieder Theater!"?
Ich schaffe es nicht, hinter einer Rolle zu verschwinden, ich bin immer Harald Schmidt. Und für meine Maßstäbe reicht das bei Weitem nicht. Ich könnte natürlich jede Woche irgendwo den Higgins in "My Fair Lady" spielen, oder – was mir dauernd angeboten wird, weil ich als Hypochonder gelte – den "Eingebildeten Kranken". Aber dazu versteh’ ich zu viel vom Theater.

Ihre Bestimmung ist also doch die "Late Night"?
Ich habe ja alles ausprobiert und bin mit allem gescheitert. Gereinigt kehre ich aus der Wüste zurück ins Privatfernsehen.

Um da in Pension zu gehen?
Wenn man mich nicht vorher rausschmeißt.

Das halten Sie doch selber nicht für möglich?
Das schließe ich nicht aus.

Plan B?
Nix. Keinen.

Aber Sie erzählen doch, dass Sie daheim Ihrer Familie auf die Nerven gehen, wenn Sie nicht zum Fernsehen müssen?
Ich kann mich mittlerweile geräuschlos in den Tagesablauf eingliedern, mit leichten Nebentätigkeiten. Müll rausbringen und so, das kann man mir beibringen.

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Ihre langjährige Partnerin ist Lehrerin, Sie haben gemeinsam vier Kinder, das Jüngste ist vier, und vor zwei Jahren meinten Sie: "Allmählich würde mich das Heiraten reizen." Haben Sie geheiratet?
Nein.

Reizt es Sie nicht genug?
Doch.

Hat sie "Nein" gesagt?
Ne, es ist ständig Thema. Aber wir sind jetzt schon so viel länger zusammen als alle verheirateten Paare in unserem Umfeld. Wir streiten uns wie verrückt, aber es hält. Heiraten ist oft Thema. Und dann wieder nicht (lacht), weil man ja nicht darüber reden kann, wenn man nichts miteinander spricht.

Das heißt, Sie streiten mit anschließenden Trotzphasen?
Ja! Eiszeit! Da halte ich’s mit Freumbichler, dem Großvater von Thomas Bernhard, der hat wochenlang nicht mit der Frau gesprochen. Na, so schlimm ist es nicht (grinst).

Wie versöhnen Sie sich?
Meistens sage ich: "Ich verzeihe dir!"

Und dann kriegt sie einen Lachkrampf?
Das nicht (Pause), aber dann (rührt im Kaffee) ... braucht man halt doch wieder Geld, und dann geht’s wieder.

Sie sind so bösartig!
Nein! Schön essen oder so, das tun wir ja auch in der Zeit, aber schweigend, wir reden nur das Nötigste. Etwa so (knurrt) : "Ja." "Nein." "Geht so."

Sind Sie ein Spießer?
Ja!

Gehen auf Elternabende ...
Selbstverständlich! Das hat aber nichts mit Spießersein zu tun. Ich bin so ein Spießer, der’s gern warm hat.

Warum provozieren Sie dann diejenigen, die Ihnen Wärme geben, mit Ihren ewigen Sprüchen wie: "Bei uns daheim macht alles die Frau"? Das glaubt Ihnen doch bei vier Kindern ohnehin niemand mehr – ich häng mich manchmal mit nur zwei auf.
Das ist dann Nestroy: "Wenn alle Stricke reißen, häng ich mich auf." Dagegen ist nichts zu sagen, denn es gibt Situationen, wo man die Kinder an die Wand klatschen könnte, das wird jeder bestätigen, der Kinder hat, das gehört dazu. Ich habe bei mir in der Familie klargestellt, dass ich natürlich Witze über Kinder und Frauen reiße. Aber dafür haben wir zu Hause beheizte Windeln. Genau so sag’ ich das.

Sie bauen in Interviews gern Mythen um sich herum auf. Hypochondrie haben Sie schon erwähnt, eine Zeit lang spielten Sie den Alkoholiker.
Ja, latente Homosexualität ist ’ne neue Farbe, die ich reinbringe. Da ruft dann meine Tante aus der Eiffel aufgeregt bei uns an (imitiert eine Frauenstimme): "Was denn, der is schwul?" Ich sage immer bei mir zu Hause: "Wundert euch nicht, was ich da sage!" Denn für mich ist das Interview eine Kunstform. Es braucht Abgründe. 95 Prozent aller Interviews sind langweilig. Ich finde, man ist verpflichtet, den Leser zu unterhalten.

Gut, dann reden wir über Sex: Was halten Sie von Sex über 50? Dafür sind Sie doch der richtige Ansprechpartner?
Absolut!

Ich denke da an Ihr Rätsel: "Was hat 178 Zähne und bewacht ein Monster?"
Ääh, war das die erste Reihe im Musikantenstadl? Oder, ääh, nein, MOOMENT (denkt nach) , jetzt hab ich’s: der Reißverschluss an meiner Hose!

Stimmt. Also: Sex über 50?
Noch ein Kaffeetschgerl? (Schenkt lachend nach). Also ich finde, man sollte überhaupt erst ab 50 Sex haben. Davor ist es sinnlose Akrobatik, gymnastische Übungen. Ich bin erst ein Virtuose auf dem Frauenkörper, seit ich weiß, was Frauen wollen. (Pause) Wann werden Sie 50?

In sechs Jahren.
Frauen sind ja heute bis in die hohen 70er sexuell aktiv. Woher ich das weiß? Ich spreche aus Erfahrung. Hahaha! Das können Sie alles schreiben! Sensationell, wenn die Österreicher nach dem Neujahrskonzert die Zeitung aufschlagen und DAS lesen!

Wie feiern Sie Silvester?
Völlig ruhig und privat, ohne Geknalle.

Champagner?
Rosè Champagner.

Neujahrskonzert?
Ja!

Mit der ganzen Familie?
Ne, ich bin der Einzige, den diese Musik interessiert.

Sie spielen Orgel und Klavier. In einem Interview haben Sie erzählt: "1995 konnte ich mir endlich den Flügel kaufen, den ich wollte." Darauf spielen Sie Bach – und Billy Joël. Was genau?
"New York State Of Mind" und "Just The Way You Are". Ich hab auch ein Heft mit Wienerliedern.

Beherrschen Sie das Wiener Idiom?
Man sagt mir, in einzelnen Treppenhäusern von Ottakring würde von zugewanderten Kroaten so Wienerisch gesprochen, wie ich es tue. Aber für Deutschland reicht’s. Das ist übrigens generell mein Motto: "Für Deutschland reicht’s!"

Im doppelten Wortsinn?
Ja.

Kommt der Weltuntergang?
Natürlich nicht.

Prognosen für 2012?
Alles wie gehabt in leicht veränderter Reihenfolge: ein Eurogipfel nach dem anderen; Billionen und Fantastilliarden werden irgendwo hingeschoben; der eine oder andere Skandal; der eine oder andere Weltuntergang, der eine Woche dauert und dann keinen mehr interessiert. Ansonsten: nur Fußball, Fußball, Fußball. Deutschland wird Europameister!

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Und Harald Schmidt ist wieder Kreuzfahrtdirektor auf dem "Traumschiff"?
Nein, 2012 kann ich nicht drehen. Das geht sich bei drei Late-Night-Shows pro Woche einfach nicht aus. Was entgeht mir? SINGAPUR! Ich könnte heulen!

Aber bei der Neujahrsfolge sind Sie noch an Bord: Bali.
Bali war ja ursprünglich Japan. Dann kam – Originaltext Rademann: – "die dusslige Welle", im Volksmund: Tsunami. Und dann mussten alle bereits gedrehten Japanszenen auf Bali umsynchronisiert werden. Ich glaube, 27-mal musste aus Ja-pan Ba-li gemacht werden.

Sie sind bei den Dreharbeiten an Bord überaus beliebt.
Die Leute sind zunächst überrascht, dass ich sehr manierliche Umgangsformen habe. Ich sage: "Guten Tag" und halte die Tür auf.

Und dann?
Dann sind die in einer Art Schockstarre: "Ach, der ist ja völlig anders! Die Publikumslieblinge aus dem Fernsehen sind auf dem Schiff so arrogante Arschlöcher, aber der Schmidt, dieses Ekelpaket, der is richtig nett!" Und schon sitzt man zusammen bei einer Tasse lauwarmem Piccolo, und los geht’s. Die Seelen der Menschen sind ja voll – von Wut auf die undankbaren Kinder, das Finanzamt, Hass auf den Ehepartner und, nicht zu vergessen: Hass auf sich selbst. Und wenn ich etwas kann, dann in so einem Fall zuhören und Klappe halten. Die meisten anderen hören ein Stichwort und fangen selbst an zu reden. Während ich – so wie Sie jetzt – einfach dasitze und nur einwerfe (flüstert, Erregung heuchelnd): "Bitte? Was? Der eigene Sohn? Nicht mal an Weihnachten?"

Und dann?
Dann höre ich alles: Kontostände, Zweitwohnsitze, Testamentsänderungen. Ja, ich bin sehr umgänglich. Ich will doch Geschichten hören.

Haben Sie zuletzt etwas von Oliver Pocher gehört ?
Wir schicken uns immer wieder SMSe. Ich hab ihm zu den Zwillingen gratuliert, er hat sich bedankt und geantwortet: Falls ich Beratung in Sachen Late Night brauche, stehe er jederzeit zur Verfügung. Das fand ich lustig.

Haben Sie’s in Anspruch genommen?
Noch nicht. Aber es kann noch kommen.

Haben Sie ihm im Gegenzug Beratung bei der Kindererziehung angeboten?
Ne, ich finde Beratung in Sachen Erziehung immer ein bisschen aufdringlich. Kindererziehung ist zu persönlich, da muss jeder gucken, wie er’s in den Griff kriegt.

Sie wurden schon als "Gott" der Comedy bezeichnet. Wie gefällt Ihnen das?
Also, da bin ich zu katholisch, um das zu sagen. Und eins weiß ich: Ich bin ein ganz normaler Erdenwurm, der eines Tages zu Staub zerfällt.