Kultur

Hallo? Hollywood?

Mit „Angels in America“ landete Tony Kushner einst einen Bühnenhit, der auch verfilmt wurde. Inzwischen ist der amerikanische Autor vor allem für Hollywood tätig und schreibt Drehbücher (etwa „München“) für Steven Spielberg. Eine Oscarnominierung für dessen neuesten Film „Lincoln“ hat Kushner auch an Land gezogen. Tatsächlich: Kushner scheint in der Traumfabrik angekommen zu sein. Und das beweist auch die österreichische Erstaufführung seines neuen Stücks mit dem Titel – Achtung, jetzt kommt’s: „Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift“. Denn was da im Wiener Volkstheater zu sehen ist, böte Stoff für etwa 30 Hollywoodfilme, erweist sich auf der Bühne aber leider als schwer umsetzbar.

Szenenbilder aus "Ratgeber für..."

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Anleitung erforderlich

Neun Seiten ist sie lang, die Anleitung zum Verständnis der Ausgangssituation dieses „Ratgebers“. Von 1854 bis in die Gegenwart spannt Kushner seinen Blick auf die Geschichte einer italienischen Familie, die Generationen später in Brooklyn gelandet ist und deren Oberhaupt Gus jetzt mit Zustimmung seiner Lieben Selbstmord begehen möchte. In der schriftlichen Anleitung zum „Ratgeber“ erfährt man jene Hintergründe, die nötig sind, um das überaus komplexe Familiengeflecht zu verstehen.

Das klingt kompliziert? Ist es auch! Denn Kushner will viel, sehr viel. Da geht es um Politik, um Kapitalismus, um Grundeinkommen und verratenen Kommunismus, um offene und latente Homosexualität, um Katholizismus, Atheismus, um Alzheimer und Alter und um – ja, Liebe in all ihren Formen.

Epischer Eintopf

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Und um Familienschicksale, die den Stoff für ein großes Hollywood-Epos bilden könnten, aber auf der Theaterbühne seltsam untheatralisch bleiben. Denn vieler Pointen und Ideen zum Trotz – dieser überfüllte Eintopf der Weltgeschichte geht über, ohne im Überschwang an Bedeutung zu gewinnen.

Dabei unternimmt Regisseur Elias Perrig alles, um in drei Stunden und im sich drehenden Holzstellgerüst-Bühnenbild (Wolf Gutjahr) die Essenz aus Kushners Konvolut herauszufiltern.

Das gelingt dank einiger Darsteller auch immer wieder. Etwa dank Erich Schleyer, der als an allem verzweifelnder, Horaz übersetzender Luxus-Kommunist zu überzeugen weiß. Wie auch Hans Piesbergen den schwulen Sohn Pill sehr gut charakterisiert, und Ronald Kuste als dessen Mann gefällt.

Als Stricher bringt Robert Prinzler eine erfreuliche Natürlichkeit mit ein; Roman Schmelzer als heterosexueller Sohn, Nina Horváth als dessen Frau, Inge Maux als Schwester, Patrick O. Beck, Martina Stilp, Nanette Waidmann halten gut mit. Schade nur, dass Claudia Sabitzer ihre zentrale Tochter-Rolle gnadenlos überzeichnet.

Stück

Tony Kushners „Ratgeber“ böte Stoff für 30 Hollywood-Epen, ist unfassbar gescheit, langatmig, untheatralisch, aber in seiner Anmaßung dennoch sympathisch.

Umsetzung

Das Volkstheater unternimmt alles, um diesen gigantischen Brocken auf die Bühne zu stemmen. Ein intimerer Rahmen wäre für die Familienaufstellung aber fast besser geeignet.

Spiel

Von sehr gut bis überzeichnet. Einzelne Szenen berühren sehr.

KURIER-Wertung: **** von *****