Österreich und seine Titel: „Sogar der Liftboy ist Professor“
In Österreich gibt es keine Briefträger, sondern Postoberadjunkte, keine Kellner, sondern Ober, keine Beamten, sondern Kanzleiräte, und sogar der Liftboy ist Professor“. So beschrieb der israelische Satiriker Ephraim Kishon die Titelsucht der Österreicher.
Natürlich werden in allen Ländern der Welt Titel verliehen. Aber in keinem anderen kommt diesen eine derartige Bedeutung zu wie hierzulande. Waren es einst adlige Ränge, so sind es bis heute neben akademischen auch Amts-, Berufs- und sonstige Titel, die uns zum Weltmeister in der Vergabe von Ehrenbezeichnungen aller Art machen.
Titel ohne Mittel
Die klassische Titel-Karriere bietet sich dem österreichischen Beamten. Ihm steht auch im 21. Jahrhundert eine Hundertschaft an Titeln zur Verfügung, wobei die Palette vom Oberrevidenten bis zum Sektionschef reicht. Nicht wenige Titel entstanden als landesübliche Kuriosa. So war die Anrede „Professor“ ursprünglich nur Universitätslehrern vorbehalten, als aber die sich unterbezahlt fühlenden Gymnasiallehrer höhere Gehälter verlangten, entschied Kaiser Franz Joseph sehr österreichisch: Er lehnte die Forderung ab und gestand den Lehrern stattdessen zu, sich fortan Professor nennen zu dürfen. Das führte zum geflügelten Wort vom „Titel ohne Mittel“.
Als in der Ersten Republik durch Abschaffung des Adels ein arges Titeldefizit entstand, begann man auch verdiente Künstler mit dem Titel Professor zu schmücken, was sich bis heute erhalten hat.
Anderswo herrscht Erstaunen, dass es in Österreich 100 Jahre nach Abschaffung des kaiserlichen Hofs immer noch Hofräte gibt. Der Titel wurde 1765 unter Maria Theresia geschaffen. Als Staatskanzler Metternich 1848 sein Büro am Ballhausplatz räumen musste, trat ein Beamter auf ihn zu und fragte besorgt: „Was soll denn jetzt aus uns werden, wenn Durchlaucht uns verlassen?“
„Beruhigen Sie sich, lieber Hofrat“, antwortete Metternich, „Kaiser werden in Österreich gestürzt, Regierungen kommen und gehen – aber die Hofräte, die bleiben!“
Die Hofräte protestieren
Zwei Jahre später wurde der Titel Hofrat jedoch abgeschafft und durch den Ministerialrat ersetzt. Die ihres klangvollen Titels beraubten höheren Staatsdiener protestierten so lange, bis der Hofrat wieder eingeführt wurde. Wobei der Ministerialrat selbstverständlich zusätzlich erhalten blieb.
Das Führen glorioser Titel hat seine Wurzeln in der Aristokratie. In der ersten Reihe stand, wer über zumindest 16 tadellos aristokratische Ahnen verfügte. Bis zu 80 solcher Familien erfüllten als Fürsten und Prinzen die strengen Richtlinien und galten somit als „hoffähig“, womit ihnen der Zutritt zum Kaiserhaus gestattet war. Zu dieser Kategorie zählten die Dynastien Liechtenstein, Arenberg, Lobkowitz, Schwarzenberg, Auersperg und Dietrichstein. Die Ahnen dieser Eliten hatten ihre Karrieren als Raubritter begonnen, wobei sie sich im Lauf der Jahrhunderte zusätzlich besondere Verdienste um die Krone erwerben konnten – oft durch Beteiligung an den enormen Kosten, die Kriege verursachten.
Die zweite Gesellschaft
Mit Maria Theresia setzte der sukzessive Verfall des Adels ein. Sie war es, die dem blauen Blut die wichtigsten Privilegien nahm, vor allem die Befreiung von Steuern und Abgaben. Und doch: Je weiter oben der Name in der Hierarchie stand, desto näher beim Kaiser durfte man bei Hofbällen, Galadiners und ähnlichen Anlässen sitzen.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Industrie- und Finanzdynastien, Beamte, Militärs und Künstler, die sich als treue Stützen des Throns erwiesen, mit erblichen Titeln beglückt. Wer sich dem Haus Habsburg gegenüber loyal verhielt und die Stufenleiter des Erfolgs emporstieg, durfte sich Baron, Ritter oder Freiherr nennen. Im Sprachgebrauch als „Kleinadelige“ bezeichnet, waren diese weder Teil der Aristokratie noch des „Volkes“, sondern gehörten der „Zweiten Gesellschaft“ an.
5700 neue Adelstitel
Allein unter Franz Joseph wurden 5700 Bürgerliche geadelt, wobei der Kaiser mitunter durchaus strenge Richtlinien setzte. So lehnte er die Erhebung des „Walzerkönigs“ Johann Strauß in den Adelsstand ab, weil dieser 1848 einen „Revolutionsmarsch“ komponiert hatte.
Noch mehr Titel vergab Franz Josephs Nachfolger Kaiser Karl, den man deshalb auch „Sehadler“ nannte, weil er jeden, den er gesehen, auch geadelt haben soll.
Am 3. April 1919 wurde von der jungen Republik das Führen aristokratischer Titel unter Strafe gestellt. Wer gegen das „Gesetz über die Aufhebung des Adels“ verstieß, konnte zu einer Strafe von 20.000 Kronen oder Arrest bis zu sechs Monaten belangt werden. Es ist aber kein Fall eines Grafen oder Barons bekannt, der wegen Führens seines Titels ins Gefängnis musste.
Der Herr Kanzleirat
In der Republik gab es immer wieder Bemühungen, die Amtstitel zu reduzieren. So wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der Stadt Wien der „ Kanzleirat“ gestrichen. Bis Hans Moser 1948 das Lied „Der alte Herr Kanzleirat“ sang. Daraufhin beschloss man, den Titel wieder einzuführen, wie einem Bericht der Zeitung Express zu entnehmen ist: „Das Verdienst, dass der alte Herr Kanzleirat reaktiviert wurde, gebührt unserem Hans Moser. Sein Lied hat Wiens Stadtväter jetzt bewogen, den Titel wieder zu neuen Ehren kommen zu lassen.“ Den Titel gibt es heute noch.
Zur Einleitung von Ephraim Kishon passt der Schlusssatz von Dieter Chmelar, der einmal trefflich darauf hinwies: „Wäre Shakespeare Österreicher gewesen, sein Stück hätte geheißen: ,Der Diplomkaufmann von Venedig’.“