Kultur

"Freischütz"-Premiere: Ein Schuss ins Knie

Es gibt Abende, die sind geschmacksabhängig, da kann man über szenische Zugänge, musikalische Interpretationen und Besetzungen diskutieren, da existiert kein Richtig oder Falsch.

Und dann gibt es solche, sehr wenige zum Glück, bei denen subjektive Kriterien keine Rolle mehr spielen. An denen so viel daneben geht, dass man die Sinnfrage stellen muss: Wozu das Ganze? Und an denen der Großteil des Publikums einig ist: So nicht! Womit wir bei der Neuproduktion von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ an der Staatsoper wären. Die dazu führte, dass ein älterer Herr, der alle wesentlichen Wiener „Freischütze“ der vergangenen sechs, sieben Jahrzehnte gesehen hatte, danach in der U-Bahn andere Premierengäste an der Kleidung erkannte und nur sagte: „Mein Beileid.“

Das Werk

Ja, „Der Freischütz“ ist ein schwieriges Werk, aufgrund der Rezeptionsgeschichte als deutsche Nationaloper (was zu kurz greift), aufgrund der Inhomogenität, aufgrund der nicht gerade zeitgemäßen Story, vor allem aber aufgrund der vielen Dialoge. Die sind schon bei der „Zauberflöte“ und bei „Fidelio“ ein Problem, beim „Freischütz“ jedoch wegen des Librettos von Johann Friedrich Kind ein besonderes. Dabei gibt es in diesem Werk fantastische Musik. Und eine „Readers-Digest“-Fassung, auf 90 Minuten gekürzt, in Topbesetzung und konzertant, wäre wohl einmalig charmant.

Wenn man jedoch einen „Freischütz“ als Neuproduktion ins Staatsopern-Repertoire wuchtet, bräuchte es zwingende Argumente dafür.

Dirigentische – etwa heute einen Thielemann oder früher einmal einen Harnoncourt: gibt es hier nicht.

Oder sängerische – eine Traumbesetzung, die nur an diesem Ort in dieser Konstellation zu hören ist: ebenso nicht auszumachen.

Oder (am besten und) szenische – eine märchenhafte, mystische, durchaus naturalistische Umsetzung (why not?) mit höchstem technischen Aufwand oder auch eine geniale Idee, wie die Geschichte von den Freikugeln und vom satanischen Bund wieder Relevanz auf der Opernbühne bekommen könnte: Fehlanzeige! Dieser „Freischütz“ ist ein Schuss ins Knie. In der Politik würde man nach so einem Flop sofortige Neuwahlen fordern.

„Liebe kann so anstrengend sein“, sagt Daniela Fally als Ännchen an diesem Abend. Oper kann so fad sein. Ein junger Mensch, der sich in diese Aufführung verläuft, wird vom Virus Oper sicher nicht infiziert. „Armer Weber“, rief, als der Vorhang fiel, ein Besucher von der Galerie und meinte garantiert nicht den verstorbenen „Drahdiwaberl“-Chef. Und dann folgte ein Buhkonzert. Auf die Besucher ist Verlass.

Das Orchester

Das mit großem Abstand Beste an diesem Abend ist das Staatsopernorchester, das mit prachtvollen romantischen Klängen und herrlichen Soli (Extrakompliment an den Bratschisten) beeindruckte. In diesem Fach wird man, was Farbenreichtum, Schmelz und durchaus wienerische Note betrifft, nichts Besseres zu hören kriegen.

Das Dirigat von Tomáš Netopil könnte jedoch differenzierter und dramaturgisch strukturierter sein. Der Versuch, eine nicht zu schwülstige Lesart zu präsentieren, ist erkennbar. Allerdings wackelt es schon bei der Ouvertüre, nicht zuletzt durch die oftmals radikalen Tempowechsel, gehörig.

Die Sänger

Die Besetzung ist, freundlich formuliert, durchwachsen. Andreas Schager singt die Partie des Max, die seinem international höchst gefragten Heldentenor bedingt zugute kommt, präzise, kraftvoll, durchaus mit feinen Kantilenen. Diesem exzellenten Sänger, der etwa im Jahr 2020 in Bayreuth der neue Siegfried sein wird, als erste Staatsopern-Premiere den „Freischütz“ zu geben, grenzt fast schon an Missachtung seiner Qualitäten.

Camilla Nylund ist eine schön timbrierte, sensible Agathe, die ihr „Und ob die Wolke sie verhülle“ von ganz hinten auf der Bühne singen muss. Auch Daniela Fally als Ännchen ist eine famose Besetzung. Was man vom amerikanischen Bassbariton Alan Held als Caspar nicht mehr behaupten kann. Er hat keinerlei Dämonie, mittlerweile auch wenig Stimme und schlechte Deutschkenntnisse. Mit seiner Darbietung war das Premierenpublikum am wenigsten einverstanden.

Dass für den Eremiten mit Albert Dohmen ein Gast geholt werden musste, ist unerklärlich. Adrian Eröd singt die kleine Partie des Ottokar solide. Dass Clemens Unterreiner an diesem Abend Zeit hatte, den Cuno zu singen, ist schön. Der sympathische und im Ensemble wichtige Hans Peter Kammerer ist als Samiel leider eine einzige Fehlbesetzung. Er muss kopfüber von der Decke hängen und braucht darob auch Verstärkung, was in der Staatsoper eher ungewöhnlich ist.

Die Regie

Die Inszenierung von Christian Räth, der so heftig ausgebuht wurde wie noch wenige vor ihm, ist ein Desaster. Räth macht den Jägerburschen Max zum Komponisten (huch, wie originell), der an seiner Oper arbeitet, verstoßen wird und seine Partiturzettel am Ende vom Eremiten zurück bekommt. Aber warum?

Jedenfalls ist Andreas Schager der Falsche, um diese Balance aus naivem Brautwerber und verirrter Künstlerseele, möglicherweise eine Art E. T. A. Hoffmann-Figur, nuanciert zu gestalten. Und auch die anderen Protagonisten bis hin zur stets spielfreudigen Fally als optischer Erika-Pluhar-Verschnitt sowie der sängerisch mächtige Chor wirken in diesem Setting verloren.

Die Wolfsschlucht ist so gut wie inexistent, da gibt es nichts Diabolisches, Rätselhaftes, Bedrohliches. Die Freikugeln sind Kompositionsnotizen, die von tanzenden Krähen übernommen werden. Einmal sitzt Caspar am brennenden Klavier – wie die Makemakes beim Songcontest 2015 in der Wiener Stadthalle. Die bekamen damals null Punkte. Gar so streng wollen wir nicht sein.