Filmkritik zu "Emile - Erinnerungen eines Vertriebenen": Autogramme von Albert Einstein
Von Alexandra Seibel
Berta Zuckerkandl hat Palmen nicht gemocht. Sie fand sie langweilig. Ihr Enkel, Emile Zuckerkandl, kann sich dem nur anschließen: Er findet nicht nur Palmen, sondern gleich das gesamte amerikanische Stadtbild uninteressant. Kein Gebäude, das ihn inspirieren würde.
Emile Zuckerkandl fährt mit dem Auto durch Palo Alto, seinem Wohnsitz in Kalifornien bis zu seinem Tod 2013. Bei ihm im Auto befindet sich der Filmemacher und Dokumentarist Rainer Frimmel, der Zuckerkandl 2012 besuchte und ein zartfühlendes Porträt des weitschichtig mit ihm verwandten Großonkels drehte. Man spürt das vertraute Verhältnis der beiden, die Ungezwungenheit, mit der Frimmel Fragen stellen kann.
Bereitwillig liefert sich Emile Zuckerkandl seinen Erinnerungen aus, blättert durch Tagebücher und öffnet alte Fotoalben.
Geboren 1922 in Wien, war er der einzige Enkel der Schriftstellerin und Journalistin Berta Zuckerkandl-Szeps, mit der ihm eine innige Beziehung verband. Zuckerkandl-Seps war berühmt für ihren literarischen Salon, in dem die künstlerische Elite Wiens verkehrte.
Im schönsten altwienerischen Tonfall erinnert sich der Enkel an die illustre Gästeliste seiner Großmutter, die von Stefan Zweig über Egon Friedell und Alma Mahler bis hin zu Joseph Roth reichte.
Albert Einstein
Im Alter von 12 Jahren begann der kleine Emile ein Autogrammbuch zu führen: „Für Herrn Zuckerkandl Junior“, notierte etwa Albert Einstein 1932 dem Buben ins Erinnerungsbuch: „Jeder Blödsinn kann dadurch zu Bedeutung gelangen, dass er von Millionen Menschen geglaubt wird.“
Rainer Frimmel filmt seinen Großonkel in Schwarzweiß und konzentriert sich ganz auf dessen Erzählungen. Den akkuraten Schnitt lieferte Tizza Covi, mit der Frimmel üblicherweise seine Filme gemeinsam dreht.
Vor unseren inneren Augen entstehen Bilder an eine behütete Kindheit in Purkersdorf, der Einmarsch Hitlers und eine abenteuerliche Flucht Richtung Algiers. Viele Mitglieder der jüdischen Familie fielen den Nazis zum Opfer, er selbst konnte sich retten und machte später eine internationale Karriere als Evolutionsbiologe.
Zuckerkandls Erinnerungen entfächern sich an der Schnittstelle von privatem Erleben und politischem Weltgeschehen zum eindringlichen Zeitdokument und verbinden die Gegenwart mit der Vergangenheit. Der frisch gedruckte Katalog einer Wiener Galerie liegt auf Zuckerkandls Schoß. Möbelstücke von Josef Hoffmann sind darauf zu sehen, die einst in der Wohnung seiner Großmutter standen.
Auf ihrer Flucht vor den Nazis aus Wien fuhr Emile mit ihr an Salzburg vorbei: „Das werde ich niemals wiedersehen“, sagte Berta Zuckerkandl mit Blick aus dem Fenster. Sie behielt recht.
INFO: Ö 2023. 86 Min. Von Rainer Frimmel. Mit Emile Zuckerkandl.