Kultur

Filmfestspiele Venedig: Merkel und Machete

In Venedig will man sich nicht stressen lassen. Selbst dann nicht, wenn die Konkurrenz unter den Filmfestivals immer größer wird. Vor allem das Festival in Toronto setzt der alten Dame zu. Es überschneidet sich zeitlich mit dem Filmfest auf dem Lido und zieht im Halbfinale eine große Anzahl an Medienvertretern ab. Doch Toronto ist hartes Filmmarkt-Business. Venedig hingegen hat ein unverwechselbares Flair – und verläuft entspannt.

Allerdings wird auch der Kampf um die Filme immer heftiger. Dass Robert Zemeckis seinen neuen Film "The Walk" über den Hochseilartisten Philippe Petit dem New Yorker Filmfestival überließ, mag Venedig-Chef Alberto Barbera geschmerzt haben. Im Gegenzug holte er sich zum Auftakt das mäßige Bergsteiger-Drama "Everest" und sorgte mit Stars wie Jake Gyllenhaal für Getöse.

Mit einem weiteren Großprojekt ging es dann gleich weiter: Der US-Streamingdienst-Riese Netflix, der sich mit Produktionen wie der "House of Cards"-Serie profilierte, produzierte nun auch seinen ersten Spielfilm: Das infernalische Kindersoldatendrama "Beasts of No Nation" des US-Regisseurs Cary Joji Fukanaga (Emmy-Preisträger für die HBO-Serie "True Detective") betonierte das Publikum mit sadistischen Gewaltexzessen. Die brutale Umerziehung eines Buben zum Soldaten platzierte Fukanaga in ein nicht näher definiertes afrikanisches Land. Dort trainiert Brit-Darsteller Idris Elba als grausamer "Commandant" eine desperate Truppe von Kindern und Jugendlichen und bringt ihnen bei, wie man mit einer Machete Köpfe spaltet. Offensichtlich inspiriert von Regisseuren wie Terrence Malick und "Apocalypse Now", dabei aber nicht annähernd mit der Kompetenz seiner Vorbilder ausgestattet, deliriert sich Fukanaga plakativ durch Afrika als ein "Herz der Finsternis", in dem Gewalt, Drogen, Missbrauch und Wahn herrschen.

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Der interessanteste Aspekt an "Beasts of No Nation" ist der Vertrieb: Netflix plant den Kinostart im Oktober am selben Tag, an dem der Film auch für seine 65 Millionen Abonnenten zugänglich gemacht wird. Aus diesem Grund weigerten sich große Kinoketten in den USA, den Film überhaupt in Verleih zu nehmen.

Erholung von der ärgerlichen Blutrunst fand man in der Nebenreihe "Venice Days" bei der französischen Schauspielerin und Regisseurin Julie Delpy. In ihrem sechsten Spielfilm "Lolo" amüsiert Delpy als neurotische Mittvierzigerin Violette mit kleinen Speckröllchen auf der Hüfte. Männer stünden neuerdings nicht mehr auf scharfe Blondinen, sondern auf intelligente Frauen mit Jobs, erklärt sie ihrer besten Freundin: Das sei der Merkel-Effekt. Violette verliebt sich in einen Provinzler, gespielt von Dany Boon ("Willkommen bei den Sch’tis") und ahnt nicht, dass ihr 19-jähriger Sohn Lolo alles daransetzt, um ihre Beziehung zu ruinieren. Zu den lustigsten Momenten zählt der Schlagabtausch zwischen Violette und ihrer Freundin zum Thema Liebhaber und Zungenakrobatik. Doch nicht alle Witze treffen sicher: Ein Duell mit Regenschirmen zum Donauwalzer ist schlicht Klamotte.