Keine Spur von namenloser Freude
Dieser Aufführung muss man etwas zugutehalten: Sie lässt garantiert niemanden kalt. Obwohl es auf der Bühne im Theater an der Wien, den aktuellen eisigen Temperaturen entsprechend, sehr frostig ist. Und auch im Orchestergraben, wo Authentizität offenbar viel wichtiger ist als Schönklang.
Unterkühlung also bei einer Opernpremiere, in der es um Gattenliebe und am Ende um das Erreichen von Freiheit geht. Leider haben sich einige Beteiligte dabei auch künstlerisch ziemlich verkühlt. Aber der Reihe nach.
Beethovens „Fidelio“ steht seit Sonntag auf dem Programm des international gefeierten Opernhauses. Eine Aufführung, auf die sich Opernliebhaber gefreut hatten: Nikolaus Harnoncourt am Pult des Concentus Musicus; Herbert Föttingers erste Opernregie; dazu Michael Schades Debüt als Florestan, also ein Mozartsänger in einer für ihn ungewohnt heldischen Partie. Nur: Mit dieser Produktion wird man wohl keine Preise gewinnen. Und das hat viele Gründe.
Die Sänger
Zunächst das Gesangsensemble: Juliane Banse ist alles andere als eine ideale Leonore. Sie müht sich in der Höhe ab, passt sich stimmlich der von Harnoncourt intendierten Abkehr von jeglicher Ästhetik an und hat auch darstellerisch viel zu wenig Präsenz. Michael Schade vermag den Florestan zwar klug und erwartungsgemäß lyrisch zu gestalten, hat aber beim Finale zu wenig Durchschlagskraft – in diesem kleinen Theater ist diese Besetzung aber eine Möglichkeit.
Martin Gantner jedoch entspricht den Anforderungen an Don Pizarro nicht im Geringsten – von Diabolik ist in keiner Phase etwas zu spüren. Garry Magee, den Minister Don Fernando, hört man kaum. Johannes Chum ist als Jaquino vergleichsweise besser. Wirklich überzeugend, einer wichtigen Premiere angemessen, sind aber nur Anna Prohaska als Marzelline (wenngleich sie von Harnoncourt lautstärkenmäßig manchmal vor Probleme gestellt wird) und Lars Woldt als markanter Rocco mit profundem Bass. Sowie die Mitglieder des Schoenberg Chores, obwohl nicht nachzuvollziehen ist, warum sie den gesamten Gefangenenchor (also schon vor der Warnung „Sprecht leiser, haltet euch zurück“) reduziert und auf der Hinterbühne präsentieren müssen.
Szenenfotos
Der Regisseur
Womit wir bei der Regie von Herbert Föttinger wären. Bei ihm scheinen Effekte – nackte Gefangene zu Beginn, plötzlicher Schneefall in Roccos Büro – wichtiger zu sein als inhaltliche Logik. Dass Jaquino der von ihm begehrten Marzelline derart an die Wäsche geht, dass sich Marzelline dann in ihrer Sehnsucht nach Fidelio so lasziv rekelt, vor allem aber dass Florestan beim Duett mit Leonore, bei der „Namenlosen Freude“, noch angekettet bleiben muss, ist allzu plakativ und vordergründig. Gattenliebe hat hier viel mit Begatten zu tun.
Die Handlung ist im Soldatenmilieu eines autoritäten Staates, nicht präzise verortet, angesiedelt. Mit Kostümen (Birgit Hutter), die an Uniformen des Franco-Regimes, in der DDR oder an die Nazis gemahnen – das hat man leider schon zu oft gesehen. Und im Finale, ab dem „Heil“-Chor, entzieht sich Föttinger völlig einer Deutung und lässt „Fidelio“ konzertant von Notenpulten aus enden – ähnlich wie Christof Loy die „Frau ohne Schatten“ in Salzburg. Dass der Minister im Beethoven-Kostüm als Retter kommt, ist bestenfalls ein Gag.
Nun ist der Wandel von der Tragödie zum Happy End-Märchen immer schwierig zu bewältigen, eine Verweigerung ist aber keine Lösung. Das bedeutet freilich nicht, dass es auf der grauen Drehbühne des im Vorjahr verstorbenen Rolf Langenfass nicht optisch faszinierende Momente gibt – zwischen den Figuren entwickelt sich aber kaum Interaktion.
Der Dirigent
Das Dirigat von Nikolaus Harnoncourt hingegen ist in jeder Phase spannend und mitreißend. Jeder Ton ist ein wichtiges Wort, das der große Mann zur Beethoven-Interpretation beizutragen hat. Er reizt die Tempi extrem aus, setzt auf radikale Brüche, auf Accelerandi und Ritardandi, auf Generalpausen, die aber nie Selbstzweck haben. Die große Leonoren-Arie nimmt er jedoch viel zu langsam und stellt so Juliane Banse vor Riesenprobleme.
Harnoncourt ist der zentrale Gestalter dieser Aufführung und ein Dirigent, der etwas verwirklichen will – ob man damit einverstanden ist oder nicht. Für seinen analytischen, harten Zugang (für den er auch auf die 3. Leonoren-Ouvertüre verzichtet) nimmt er nicht nur Unpräzisionen in Kauf, sondern setzt diese gezielt ein. Die Blasinstrumente klingen bei ihm manchmal wie alles zertrümmernde Baumaschinen, die Streicher gehen durch Mark und Bein. Zumindest er wurde bei der Premiere bejubelt.
KURIER-Wertung: *** von *****