Kultur

Fall Schnitzler: "Aufgewühlte" Nachfahren

Es ist eine beschämende Geschichte: Die Universität von Cambridge verleibte sich in der NS-Zeit den Nachlass des Schriftstellers Arthur Schnitzler ein. Heinrich Schnitzler, der Sohn und Alleinerbe, versuchte zwar bis 1950, eine Regelung mit der Bibliothek herbeizuführen. Doch schließlich musste er, wie er verbittert notierte, "klein beigeben". Er bekam zwar Mikrofilme von den Materialien, aber nicht die Originale.

Der KURIER berichtete am vergangenen Sonntag über den Kampf von Heinrich Schnitzler um den Nachlass seines Vaters – und sein Scheitern. Bisher war nur die Erfolgsgeschichte bekannt gewesen, eben die Rettung im März 1938 vor der befürchteten Beschlagnahme durch die Nationalsozialisten. Die weitere, äußerst tragische Entwicklung machten die Germanisten Wilhelm Hemecker und David Österle erst kürzlich publik: Sie hatten sich die Mühe gemacht, die Korrespondenz zwischen Heinrich Schnitzler und seiner Mutter Olga sowie mit Cambridge zu studieren.

Großvater Arthur

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Selbst Michael Schnitzler, der jüngere Sohn des Regisseurs Heinrich Schnitzler, wusste bisher nichts von der Quasi-Enteignung. Er kam 1944 in Kalifornien zur Welt, wohin seine Eltern vor den Nationalsozialisten geflohen waren. Erst 1959 kehrte die Familie zurück nach Wien. "Meine Eltern hatten zunächst schwere Bedenken", erzählt Michael Schnitzler. "Aber dann schnupperte mein Vater die Wiener Theaterluft." Peter, der ältere Bruder, Jahrgang ’37, blieb allerdings in den USA.

Wien war für Michael Schnitzler zunächst eine Herausforderung, da er kaum Deutsch konnte. Über seinen Großvater Arthur Schnitzler wusste er damals so gut wie nichts: "Mein Vater hat uns nie mit dem Nachlass befasst", so Michael Schnitzler im Gespräch mit dem KURIER. "Er zog sich immer in sein Arbeitszimmer zurück. Wir dachten, dass er nicht reden will. Ich habe daher auch nie Fragen gestellt. Heute bedauere ich das." Schnitzler studierte Violine und war Erster Konzertmeister bei den Wiener Symphonikern.

"Sehr aufgewühlt"

Sein Vater starb 1982. Er hatte, wie Michael Schnitzler erzählt, sämtliche Korrespondenzen aufgehoben: "2009, nach dem Tod meiner Mutter, haben wir das gesamte Material dem Österreichischen Theatermuseum übergeben." Ohne einen Blick in die Kisten geworfen zu haben. Denn der pensionierte Professor für Violine hatte längst andere Interessen: Michael Schnitzler engagiert sich seit 25 Jahren für die Erhaltung des Regenwaldes in Costa Rica; seit 2005 betreibt er die Esquinas Rainforest Lodge im Süden des Landes.

Nach der KURIER-Lektüre über das Verhalten von Cambridge sind er und sein Bruder "sehr aufgewühlt", sagt Schnitzler. Nach langen Telefonaten kamen sie überein, die Rückgabe des Nachlasses zu fordern. Kurz wurde überlegt, den Anwalt Randol E. Schoenberg in Los Angeles zu kontaktieren. Schoenberg hatte Maria Altmann im Streit um die "Goldene Adele" und weitere Gemälde von Gustav Klimt beigestanden. Doch dann entschlossen sich die Schnitzlers, nur einen freundlichen Brief zu schreiben. Sie hoffen, dass man auch in Cambridge das geschehene Unrecht erkennt.

Aktuelle Recherchen im Archiv hätten keine Hinweise auf eine Unrechtmäßigkeit erbracht, betont aber ein Sprecher von Cambridge gegenüber der APA. Die im KURIER wiedergegebene Korrespondenz Heinrich Schnitzlers mit der Universität würde die Kommunikation nicht "akkurat wiedergeben" – Schnitzler habe die Besitzverhältnisse damals nicht infrage gestellt. Die Universität verweist gegenüber der APA auf Briefe Olga Schnitzlers, in denen sie festhält, dass die Papiere der Universität überlassen worden waren bzw. weitere Vereinbarungen trifft. Erbe war allerdings ihr Sohn Heinrich.