Kultur

Elisabeth Orth: "Du musst dir die Bühne jung erhalten"

Mit dem Titel Doyenne ist sie nun offiziell die erste Schauspielerin des Burgtheaters. Dabei wollte sie einst einfach eine „gute Schauspielerin“ sein. Elisabeth Orth über Routine und Neuanfang.

Kurier: Frau Orth, Sie sind vielfach ausgezeichnet worden, außerdem Ehrenmitglied und nun Doyenne der Burg. Bedeuten Ihnen diese Auszeichnungen viel?

Elisabeth Orth: Ja. Und die Doyenne ist eine besondere Auszeichnung. Weil sie verbunden ist mit dem Signum: Es muss eine erste Schauspielerin sein. Wenn ich zurückdenke: Ich wollte einmal eine gute Schauspielerin werden. Und jetzt bin ich eine erste. Da kann man sich ungefähr vorstellen, was mir das bedeutet.

Doyenne bleibt man lebenslänglich. Ein Engagement bis zum Tod. Eine schöne Vorstellung?

Man weiß ja nicht, wie lang man lebt. Ich werde ganz bestimmt die Bühne nicht mehr betreten, wenn ich merke, dass die Werkzeuge nicht mehr stimmen, wie meine Mutter das genannt hat. Der Atem, das Sprechen. Wenn der Körper nicht mehr mittut, dann würde ich sagen: Sehr verehrtes Burgtheater, bitte holt euch die nächste Doyenne.

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Sie haben vorhin gesagt, Sie haben sich einst gewünscht, eine gute Schauspielerin zu werden. Wann merkt man denn, dass man eine gute Schauspielerin ist?

Es muss von außen kommen. Man lässt sich’s sagen oder schreiben. Wenn sich das dann ein paar Mal wiederholt, und das kann dauern, dann fängt man vorsichtig an, es gerne zu glauben.

Schauspielerei ist ja, bei aller Routine, mit jeder Rolle ein neuer Anfang.

Das muss es sein. Das ist ja die Herrlichkeit des Berufs.

Gewiss herrlich, aber auch sehr anstrengend.

Ja. Und schwer asozial, weil man unbrauchbar ist. Man hört anderen nicht ordentlich zu, weil man sich auf seine Rolle konzentrieren muss. Und das Textlernen wirft einen in die Schulzeit zurück, wo man Gedichte auswendig zu lernen hatte. Es gibt Kollegen, denen das zufliegt. Zu diesen gehöre ich nicht.

Wie lernen Sie Text?

Hart. Ich schiebe das lange weg, spiele faul. Und irgendwann ist Klausur. Lesen, noch einmal lesen, entsetzt merken, was man noch nicht kann. Die Klassiker sind meistens leichter, wenn man Jamben sprechen kann. Schiller hab ich leichter gelernt als jetzt Palmetshofer.

Sprechtechnik scheint heute weniger wichtig geworden.

Das stimmt leider. Die Akustik dieses Hauses ist nicht ideal, aber das ist keine Entschuldigung dafür, nicht sprechen zu können. Irgendwann ist leider die Mode aufgekommen, zu sprechen, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Das ist furchtbar, das ist nicht der Sinn des Berufes. Da kann ich auch bei der Greißlerin ein Gedicht aufsagen.

Viele Ihrer jungen österreichischen Kollegen haben sich angewöhnt, zu sprechen, als wären sie Deutsche, um auch für Film und Fernsehen in Frage zu kommen.

Ich nenne das Wenzel Lüdecke. Der hat ja früher alles synchronisiert. Das ergibt diese merkwürdig undifferenzierte Sprechweise.

Einer, der sich seine authentische Sprache bewahrt hat, ist Ihr Sohn Cornelius Obonya, der zu den besten Schauspielern seiner Generation gehört. Ab wann war für Sie klar, dass er die Familientradition weiterführt?

Er kam eines Tages und sagte, Mami, ich glaube, ich mache keine Matura, wegen Chemie und Physik. Ganz mein Sohn! Ich war genau wie meine Eltern und dachte, um Gottes willen, ein gefährlicher Beruf! Er hat sich dann, ohne, dass ich es wusste, im Reinhardtseminar beworben und als einer von ganz wenigen bestanden. Ich wusste, ich kann reden, was ich will, er wird das machen.

Und jetzt ist er „Jedermann“. Die Salzburger Festspiele sind seit drei Generationen von der Familie Hörbiger geprägt.

Ja, Salzburg ist ein familienhistorisch wichtiger Boden. Und darüber hinaus.

Sie sind bekannt für Ihr soziales Engagement, Ihren Einsatz gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Unsere Welt scheint dieser Tage besonders gebeutelt. Haben Sie den Eindruck, dass Antisemitismus wieder zunimmt?

Ja. Nicht nur der primitive vom Stammtisch, sondern auch der, der sich an der Regierung Israels aufhängt. Antisemitismus ist wie eine Giftschlange. Sie hebt immer irgendwo ihren Kopf.

Sie gehören seit der Spielzeit 1969/70 zum Ensemble des Burgtheaters. Hat es für Sie jemals etwas anderes als Theater gegeben?

Archäologie. Mein Vater aber sagte: Wie stellst du dir das vor? Mein lustiger, faunischer Vater hat da plötzlich vom Geld geredet!

Ihr Enkel heißt Attila, wie ihr Vater. Was, wenn er mit der Familientradition bricht und Buchhalter wird?

Kommt drauf an, wo.

Wir haben ja in letzter Zeit gesehen, dass man auch am Theater gute Buchhalter braucht.

Durchaus. Wir wissen alle nicht, was dieses Jahrhundert bringen wird. Ob Theater weiterhin subventioniert wird. Kultur ist Luxus, das wird schnell gesagt.

Befürchten Sie wirklich, dass Kunst so marginalisiert werden könnte?

Kunst ist immer das erste, das eingespart wird. Du kannst sie ja nicht essen.

Aber sie ist nachweisbar ein maßgeblicher Wirtschaftsfaktor.

Ja, aber das hört man nicht gern.Man kürzt wie im sozialen schleichend die Gelder und baut auf viele Idealisten, die für nix Kunst machen. Ich erlaube mir nur in einzelnen Stunden, ein bisschen pessimistisch zu sein. Ich bin lieber Optimistin. Einen totalen Optimismus schaffe ich allerdings nicht.

Sie haben Ibsens „Nora“ gespielt und Schillers „Prinzessin Eboli“. Derzeit stehen Sie in Palmetshofers Stück „die unverheiratete“ als „die alte“ auf der Bühne. Kann man sich auf der Bühne beim Altern zuschauen? Ist das Älterwerden dadurch leichter oder schwerer zu ertragen?

Wenn man den Alltag wegschieben kann, dann ist das Älterwerden keine Tragik. Es ist der Alltag, der die Stempel setzt. Vom Kreuzweh bis zu schlecht verheilenden Wunden. Du musst dir die Bühne jung erhalten, schauen, dass dir der mühselige Alltag die Bühne nicht versaut. Eine Herausforderung. Aber wenn ich mich in der Früh nicht gut fühle, und weiß, ich hab Vorstellung, dann ist Schluss mit schlecht fühlen. Alter war nie ein Problem für mich. Ich habe es nie verleugnet und mich nie jünger gemacht. Ich hab immer gesagt, ich bin Vorkriegsware.

Wer Sie auf der Bühne sieht, sieht, dass Sie brennen und alles geben. Was nehmen Sie denn von der Bühne mit?

Die Lust und die Neugier.