Kultur

"Einer von uns": Kids und Kieberer im Konflikt

Dass am Ende jemand tot sein wird, weiß man gleich. Vielleicht sogar noch aus den Zeitungen, die im August 2009 darüber berichtet hatten, wie nach dem Überfall eines Merkur-Marktes in Krems-Lerchenfeld ein Polizist einen unbewaffneten 14-jährigen erschoss und dessen Freund schwer verletzte.

Doch auch wer nicht ahnt, dass sich Stephan Richters Spielfilm-Debüt an diese Ereignisse anlehnt, weiß sofort Bescheid. Gleich zu Beginn des Films liegt am Ende eines Supermarktregals ein Bursche am Boden, Gesicht nach unten.

Wie er dort hinkam, erzählt Richter in hypnotischen, fast tranceartigen Bildern. In seinem distanzierten, aber gleichzeitig einfühlsamen Drama fungiert der Supermarkt als Schauplatz in jeder Hinsicht: In endlosen Regalreihen stehen die Produkte Spalier, als Glücksversprechen uneingeschränkten Konsumangebots. Durch die langen Gänge schiebt sich die Bevölkerung jeder Altersgruppe. Geldlose Jugendliche müssen sich meist aufs Schauen beschränken. Manchmal wird mangelnde Kaufkraft mit frechen Sprüchen kompensiert: "Sind die Kondome gut?" fragt ein beherzter 14-jähriger den schmallippigen Marktleiter (immer ein Vergnügen: Markus Schleinzer).

Umschlagplatz

Der Supermarkt als sozialer Umschlagplatz der Landbevölkerung, angesiedelt zwischen Schnellstraßen und Gstettn. Stephan Richter bleibt dem für das österreichische Kino typischen Milieu-Pessimismus treu, ohne ins Haneke- oder Seidl-Plagiat zu verfallen: dass die Geschichte schlecht ausgeht, steht von vornherein fest.

Die Architektur der Tristesse, wie sie die Peripherie vorgibt, produziert kaum jugendliche Freiräume, sondern eher ein Vakuum. Die Kids hören Hip-Hop, rauchen und hängen oft in Sichtweite des Supermarktes ab, als latente Bedrohung der Warenwelt. Obwohl sich die Polizisten, wenn sie im zivilen Freizeitlook auftreten, wenig von den Teenagern unterscheiden, gibt es zwischen den Generationen keine Solidarität. Im Gegenteil: "Foahr ma bei den Krätzn vorbei", schlägt einer der Kieberer mit Blick auf die Burschen angriffslustig vor. Die Kronenzeitung, die er in der Hand hält, titelt: "2120 Polizisten im Dienst verletzt" – ein ironischer Kommentar zum weiteren Handlungsverlauf.

Den Akt des Einbruchs erzählt Richter nicht als kriminelles Kalkül, sondern als Produkt des Zufalls. Irgendwo ist eine Tür offen und auf einmal ist man drin. Was sich als Moment ungeahnter Freiheit auftut, schließt sich bald für immer.

Die jungen Darsteller – da vor allem Jack Hofer, Simon Morzé und der etwas ältere Christopher Schärf – loten sensibel einen Zustand von Jugend aus, in dem noch alles möglich scheint – die kriminelle Karriere ebenso wie das Einschwenken ins bürgerliche Leben. Vielleicht hätte dafür ein wenig Empathie seitens der Erwachsenen schon gereicht. Aber Andreas Lust und Rainer Wöss als zynische Polizisten ("ACAB" – ,Austrian Cops Are the Best, haha") bringen noch einmal so zielsicher einen Aspekt österreichischer Mentalität auf den Punkt, dass man sich fürchten muss.

Ursprünglich habe er gedacht, in seinem Film gebe es nur Verlierer, sagte Stephan Richter, doch das wäre nicht korrekt gewesen, denn: "Der Supermarkt gewinnt immer."

INFO: Einer von uns. Ö 2015. 86 Min. Von Stephan Richter. Mit Jack Hofer, Christopher Schärf, Andreas Lust.

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Der bis heute nicht restlos geklärte Tod des links-intellektuellen Filmemachers Pier Paolo Pasolini inspirierte US-Regisseur Abel Ferrara ("Bad Lieutenant") zu einem seiner besten Filme: In "Pasolini", einer liebevollen Hommage des Amerikaners an sein großes Vorbild, führt Ferrara verschiedene, manchmal etwas verwirrende Erzählstränge zusammen. Zu den stärksten Momenten zählen die stilsicher komponierten Rekapitulationen von Pasolinis letzten Begegnungen mit Freunden und Journalisten kurz vor seinem Tod. Willem Dafoe als Pasolini bekommt hinter seiner getönten Brille eine fast unheimliche Ähnlichkeit mit dem grausam ermordeten, schwulen Regisseur. Dass er Englisch spricht, stört nicht, sondern verweist auf die Fiktion seines Charakters. In einer traumtänzerischen Sequenz fährt er im Auto durch die Nacht, auf der Suche nach Abenteuer, seinem Tod entgegen.

INFO: Pasolini. F/BE/I 2014. 84 Min. Von Abel Ferrara. Mit Willem Dafoe, Maria de Medeiros, Ninetto Davoli.

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Mit "Mockingjay – Teil 2" geht die Trilogie der "Tribute von Panem" ins grimmige Finale. Und es heißt Abschied nehmen von den "Hunger Games".

Der letzte Teil, der in zwei Abschnitte halbiert wurde, kämpft anfänglich mit seinem Erzählrhythmus. Zwar steuert alles auf ein tödliches Gipfeltreffen zwischen der Rebellin Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) und dem tyrannischen Präsidenten Snow (Donald Sutherland) zu. Doch bis dahin bedarf es eines längeren Anlaufs. Die Action nimmt erst so richtig an Fahrt auf, nachdem sich die Verfolgungsjagden unter die Erde verlegen. Katniss und ihr Team – darunter auch Katniss’ Freund Peeta (Josh Hutcherson) – irren durch gekachelte Gänge, die an die Berliner U-Bahn erinnern – was vielleicht daran liegt, dass in Potsdam gedreht wurde. Sie waten durch Kanäle und werden von Frosch-Aliens attackiert – eine der intensivsten Horror-Szenen des Films. Dass die Revolution ihre Kinder frisst, wird in einem intelligenten Twist verhandelt. Viel weniger intelligent ist ein Blick in die Zukunft, in der es aussieht wie in den 50er-Jahren und Ex-Kämpferinnen als brave Mütter ihren Frieden finden.

INFO: Die Tribute von Panem – Mockingjay teil 2. USA 2015. 137 Min. Von Francis Lawrence. Mit Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Chris Hemsworth.

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Nanni Moretti lässt sich in seinem neuen Film von einer Frau vertreten – und spielt ihren Bruder: Margherita ist Filmregisseurin in Rom und kämpft an allen Fronten – beruflich und privat. Dann ereilt sie die depremierende Nachricht, dass ihre Mutter im Sterben liegt. Im Gegensatz zu ihrem Bruder Giovanni (Moretti) kann sie mit dieser Herausforderung nur schwer umgehen.

Regisseur Moretti inszeniert Margherita als sein alter ego, als nervöse Selbstzweiflerin, die um ihre eigene Integrität kämpft und dabei einen Film dreht. Doch damit "Mia Madre" nicht im Drama versinkt, schickt Nanni Moretti auch John Turturro ins Rennen – und der ist unfassbar witzig. Er, der US-Star, soll in Margheritas neuem Film eine wichtige Rolle übernehmen – und treibt sie mit seinen exzentrischen Auftritten in die Verzweiflung. Sensible Moretti-Mischung aus Trauer und Komik.

INFO: Mia Madre. I/F 106 Min. Von und mit Nanni Moretti. Mit Margherita Buy, John Turturro, Giulia Lazzarini.

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Ein Interview mit Nanni Moretti können Sie hier nachlesen.

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