Kultur

"Unterwerfung": Der Präsident, ein Muslim

Es werde die literarische Sensation 2015, kündigte der französische Verlag Flammarion schon vor Wochen an. Aber niemand hatte die dramatische Aktualität erwartet, die der Roman unfreiwillig mit dem blutigen Attentat von Paris erhalten hat (mehr dazu lesen Sie hier). Immerhin hatte das Satire-Magazin Charlie Hebdo, Ziel des mörderischen Rundumschlags, Michel Houellebecqs Roman als Hauptthema der aktuellen Ausgabe.

Mit "Unterwerfung" (Soumission) hat es das Enfant terrible der französischen Literaturszene, Michel Houellebecq, jedenfalls schon vor diesen dramatischen Ereignissen geschafft, Dutzende Rezensionen, Kommentare und Polemiken zu erwirken. Vielleicht nicht ganz zufällig wurde ja eine Raubkopie des Werks ins Internet gestellt. Sogar Frankreichs Präsident François Hollande hat schon angekündigt, er werde das Buch unbedingt lesen, weil es einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Debatte darstelle. Debatte worüber? Über den Kampf zwischen der alteingesessenen Kultur Frankreichs (und Europas) und dem Islam.

Zerfall der Gesellschaft

Der Niedergang der abendländischen Zivilisation, der Zerfall unserer Gesellschaft und ihrer Werte, die Entfremdung des Individuums in einer von Konsumismus und Geistlosigkeit geprägten Welt waren ja schon die Grundthemen der früheren Erfolgsromane Michel Houellebecqs, wie "Elementarteilchen" oder "Plattform". Und wie schon in früheren Werken ist der Romanheld, der diesen Zerfall erlebt und zugleich verkörpert, ein hochgebildeter Beamter, Forscher oder Universitätsgelehrter – im aktuellen Fall François, Professor für Literatur an der Prestige-Universität Sorbonne. Seinen Vorgängern gleich, ist François Mitte Vierzig, schrulliger Einzelgänger, beziehungsgestört, Alkoholiker und ernährt sich hauptsächlich von Mikrowellen-Schnellgerichten. Nach einer langen, recht humorigen Einführung in das Universitätsuniversum des Professors passiert es dann ganz unerwartet: in Paris brechen gewalttätige Unruhen aus, es wird gebrandschatzt und sogar geschossen. Wir befinden uns im Jahr 2022, wenige Wochen vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Die rechtsextreme Marine Le Pen und ihr Front National sind mit 34 Prozent die eindeutigen Favoriten in den Umfragen. Unterstützt werden sie zudem von einer militanten und gewaltbereiten Bewegung, die sich "Die Identitären" nennt – fast so, als hätte Houellebecq die in Deutschland aufkeimende Bewegung PEGIDA (Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes) vorausgeahnt.

Bürgerlicher Muslim

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Der Politthriller endet damit, dass sich die alteingesessene Linkspartei und jener Teil der Bürgerlichen, die nicht ohnehin schon zum Front National übergelaufen sind, auf ein unerwartetes Bündnis einigen: in der Stichwahl unterstützen sie die neugegründete islamische Partei "Fraternité musulmane", um die Machtergreifung durch die rechtsextreme Marine Le Pen zu verhindern. Obwohl Mohamed Ben Abbes, der Chef dieser Muslimbruderschaft, kein Fanatiker im Stile der Taliban oder des "Islamischen Staates" ist, sondern ein Paradeabsolvent einer französischen Eliteschule und eine Art französischer Mursi (Anführer der ägyptischen Muslimbrüder), hat seine Wahl zum Präsidenten radikale Folgen. Das gesamte geistig-ideologisch-institutionelle Gebäude der aus der Aufklärung und der Großen Französischen Revolution von 1897 hervorgegangenen Republik wird auf den Kopf gestellt – die Gesellschaft wird durchgehend und grundlegend islamisiert.

Soweit die politische Rahmenhandlung, die für so viel Aufsehen sorgt. Aber es wäre kein Houellebecq-Roman, wenn hinter der vordergründigen Handlung nicht eine noch viel tiefergehende Provokation lauern würde. Der Literaturwissenschaftler François hat nämlich seine universitären Ehren erhalten, weil er als der anerkannteste Erforscher und Kenner des 1907 verstorbenen Schriftstellers und Exzentrikers Joris-Karl Huysmans gilt. Huysmans zieht sich durch den gesamten Roman. Er war – obwohl fast eine Art Don Juan – ebenso unglücklich in seinen Beziehungen zu Frauen. Letztendlich ging Huysmans ins Kloster und konvertierte vom Atheisten zum Gottgläubigen. Dazu passend: Michel Houellebecq erklärte erst kürzlich, sich vom Atheisten zum Agnostiker gewandelt zu haben. Und in einem seiner seltenen Interviews, mit einem langjährigen Freund für die Zeitung Die Welt: "Ich glaube, es gibt ein echtes Bedürfnis nach Gott, und dass die Rückkehr des Religiösen kein Slogan ist, sondern eine Realität, die uns nun gerade mit erhöhter Geschwindigkeit einholt." Ohne Religion habe die Menschheit keine Zukunft, so der bisher so virulente Atheist. Folgerichtig lässt Houellebecq auch seinen Romanhelden den Schritt über den Rubikon tun: wie sein Vorbild Huysmans konvertiert François, aber nicht zum Katholizismus, sondern zum Islam. Auch weil er es genießt, gleich mehrere junge, devote Musliminnen zur Frau nehmen zu können. Seine provokante Kernbotschaft: das absolute Glück findet man nur in der totalen Unterwerfung – unter Gott und den Mann.

Heftige Debatte

Mit der für französische Intellektuelle und Medien charakteristischen Liebe zur vehementen Debatte ist seit Wochen eine heftige Auseinandersetzung über Michel Houellebecqs "Unterwerfung" im Gange. Dass der Roman von größter literarischer und ästhetischer Qualität ist, bestreitet niemand. Aber die melancholisch-zynische Polit-Science-Fiction wird von den einen als "triste Farce und unerhörte Provokation" bezeichnet, während etwa der Starphilosoph Alain Finkielkraut entgegenhält: Houellebecq zeichne mit den Mitteln der Kunst und Literatur ein durchaus nicht unmögliches Szenario und verleihe den weit verbreiteten Ängsten der Franzosen Ausdruck.

Nein, Houellebecq schüre diese Ängste geradezu, antwortet etwa einer der beiden Chefredakteure der linksliberalen Zeitung Libération, Laurent Joffrin. Mit seiner These, dass das Abendland aufgrund zu vieler Freiheiten, des Werte- und Ordnungsverlustes, des übertriebenen Individualismus und des Feminismus sich selbst zugrunde richte, habe er der extremen Rechten jetzt auch noch auf höchstem literarischen Niveau die bisher verschmähte Weihe verliehen. Marine Le Pen sei jetzt endgültig im Café de Flore, dem historischen und symbolischen Literaten-Café am Boulevard Saint Germain angekommen, meint Joffrin.

Der dritte Vorwurf lautet: Houellebecq zeichne ein vollkommen klischeehaftes Bild des Islam, den er 2001 einmal als "die dümmste aller Religionen" bezeichnet hatte. Damit schüre er die antimoslemische, islamophobe Stimmung im Lande und leite Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Der Autor selbst antwortet auf all das lakonisch: er kenne kein Beispiel eines Romans, der den Gang der Geschichte beeinflusst hätte. Der Verlag Flammarion hat jedenfalls schon einmal vorgesorgt und für die 1. Ausgabe 150.000 Exemplare drucken lassen. Und die deutsche Übersetzung erscheint schon am 16. Jänner bei DuMont.

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Sein Ruf könnte kontroversieller nicht sein: Rassist, Frauenhasser, Reaktionär und Religions-(zumeist Islam-)Feind sind seit Jahren die Attribute, die in allen Kurzbiografien auftauchen. Der Sohn eines Hochgebirgsführers und einer Anästhesistin, mit einem erfolgreichen Studienabschluss als Landwirtschafts- ingenieur an einer Eliteschule, gründete schon zu Studienzeiten eine eigene Literaturzeitschrift und begann zu schreiben. Der Durchbruch gelang Michel Houellebecq (56) zwar erst vor knapp 15 Jahren mit dem Roman "Elementarteilchen", aber dann ging es rapid bergauf. Zu seiner Spezialität wurde die Kritik an der westlichen Konsumgesellschaft mit Protagonisten in einer kontakt- und gefühlsgehemmten Gesellschaft, als deren Hauptproblem die existenzielle Verlorenheit und die sexuelle Frustration erscheint. Ausführlichste Schilderungen von Sexszenen haben nicht unwesentlich zum Image des literarischen Enfant terrible beigetragen. Aber immerhin wurde Houellebecq nach vier prestigevollen Literaturprei- sen im Jahr 2010 mit der wichtigsten französischen Ehrung, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet.