Ein Glück, dass er sich in Nagasaki verirrt hat
Von Peter Pisa
Es ist ein Jahr mit außergewöhnlich vielen guten, sogar sehr guten Romanen, das zu Ende geht. Mit dicken auch. Das ist oft nicht gar so gut.
Und jetzt kommt auch noch der Engländer David Mitchell, dessen „Wolkenatlas“ Vorlage für „Cloud Atlas“ mit Tom Hanks war.
Wer historische Romane nicht mag, wird „Die tausend Herbste des Jacob de Zoet“ trotzdem sehr mögen.
Wer keine Liebesgeschichten lesen will, wird diese Liebesgeschichte trotzdem umarmen wollen.
Und Ruhe wird er finden: Der Roman ist ein atemberaubend schöner Fluss, in dem man Stunden stillsteht, während abseits der Wahnsinn regiert. Mit einem solchen Buch in der Hand überlebt man länger.
Gestolpert
Mitchell ist ein großer Erzähler, von den „Jungen“ (43 ist er) einer der größten. Zu Recht nimmt er sich 800 Seiten für sein Epos. Er verstellt den kostbaren Raum nicht mit Nutzlosem, sondern formt Menschen, gierige und zärtliche, Niederländer und Japaner, ums Jahr 1800.
In den Roman war er gestolpert: 1994 wanderte Mitchell als Rucksacktourist durch Japan. Als er Nagasaki besuchte, stieg er an einer falschen Straßenbahnhaltestelle aus, sah einen grünlichen Wassergraben und Lagerhäuser aus ferner Zeit.
Überbleibsel von Dejima.
Dejima? Das war einmal eine künstliche, ummauerte Insel im Hafen. Nur hier öffnete Japan ein Fenster: Streng bewacht durften Europäer Handel treiben. Quecksilber, Kupfer, Federn für Fächer. Nur mit Sondererlaubnis konnte man hinaus bzw. hinein.
Dejima war äußerster Handelsposten der damals fast schon bankrotten niederländischen Ostindien-Kompanie. Die bärtigen, oft rothaarigen Männer waren die Exoten in dem einem Gefängnis, auf die die Japaner im anderen Gefängnis starrten.
Er verschaut sich in die Japanerin Orito. Die Tochter eines Samurai ist Hebamme und darf nach Dejima, um beim Cembalo spielenden niederländischen Arzt Medizin zu studieren.
Und hat sie auch eine Brandwunde im Gesicht – die ist de Zoets Traumfrau. Als Orito wegen der Schulden ihres Vaters in ein Horror-Kloster verschleppt wird, pfeift sich der früher so Korrekte um gar nichts mehr ...
1. Aaah!
2. Sogar eine Seeschlacht hat Mitchell eingebaut. Alles in Gegenwart geschrieben, damit man näher ist. Perfekt ist das. Was ja auch negativ sein kann. In diesem Fall aber positiv, nur positiv.
KURIER-Wertung: ***** von *****