Kultur

Dieter Bogner: „Otto Neurath hat mehr Einfluss als Klimt“

Er ist Kunsthistoriker, Museumsplaner, Sammler und neuerdings Kurator für den Pavillon Tschechiens bei der Venedig-Biennale 2019: Dieter Bogner wird dort dem Künstler Stanislav Kolíbal eine Personale ausrichten. Geometrisch-abstrakte Kunst hat es Bogner angetan: Mit seiner Frau Gertraud baute er eine große Sammlung auf. Ab 2007 ging diese als Schenkung ans Wiener mumok. Zentrale Werke sind dort in der Schau „Malerei mit Kalkül“ (bis 5. Mai) zu sehen.

KURIER: Wie sind Sie auf den nun 93-jährigen Stanislav Kolíbal gestoßen?

Dieter Bogner: Gesehen habe ich sein Werk bereits in den 80er Jahren in New York. 1988 war Kolíbal in Berlin, da hat er mit Zeichnungen begonnen, die er in so genannte „Bauten“ umgesetzt hat. Das hat uns interessiert. Ein Jahr später, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, war er bei uns auf Schloss Buchberg. Dort schuf er die größte Installation, die er je gemacht hat. Seitdem sind wir befreundet. Im Sommer hat er mich gefragt, ob ich mich als Kurator für den tschechischen Biennale-Pavillon bewerben will.

 

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Mit welchem Vorschlag?

Der Schwerpunkt liegt auf einer gegenwärtigen Phase und zwei Gruppen aus der Vergangenheit. Die neue Arbeit ist eine Raumzeichnung, die vor dem Gebäude steht. Im Pavillon wird man eine zehn Meter lange neue Zeichnung und Reliefarbeit sehen, die zu einer Gruppe weißer Skulpturen aus den 60er Jahren in Beziehung steht. Das war die Zeit vor dem Ende des Prager Frühlings. In den 70er Jahren kam dann die absolute Repression, da hat er ganz andere Arbeiten gemacht. Kolíbal hat immer Inhalte vermittelt. Für ihn war alles Ausdruck von existenziellen Fragen – Instabilität etwa ist als Motiv ganz wichtig. Er hat schon in den 60ern gesagt, dass er nicht mit überschwänglichen, sondern nur mit ganz einfachen Mitteln auf die Welt reagieren kann.

Welche Stellung hat er in Tschechien?

Da ist er der alte Grandseigneur, der in einem langen Leben immer wieder aktuell war, auf eine unbequeme Weise. Seine Arbeiten haben sich mit anderen immer gespießt – aufgrund ihrer Ambivalenz. Kolíbal sagte einmal: „Ich strebe danach, die Vollkommenheit mit ihrer inhärenten Unvollkommenheit zu zeigen.“ Die internationale Präsenz ist sehr wichtig für ihn.

Generell scheint es Ihnen wichtig zu sein, die Nüchternheit und Konstruktivität nicht im Gegensatz zu anderen Kunstformen zu sehen.

Ich schreibe seit langer Zeit über die österreichische Eigenart des „Entweder-Und-Oder“, die Robert Menasse beschrieben hat, die aber historisch bis in die Barockzeit zurückgeht. Von dem her ist mir das, was mir Kolíbal sagt – in dem Einen ist sein Gegenteil untrennbar enthalten – sehr nahe. Ich habe auch bei konstruktiven Künstlern festgestellt, dass ihren Werken ein surreales Element eigen ist.

Gerade heute erscheint die Frage, was alles berechenbar ist und was den Menschen ausmacht,wieder aktuell.

Das stimmt schon! Aber Künstler wie Kurt Ingerl und Zdenek Sýkora, deren Werke in der Schau „Malerei mit Kalkül“ zu sehen sind, sahen ihre Computerbilder als Zeichen einer Aufbruchsbewegung und nicht, wie heute, als kritische Auseinandersetzung mit Algorithmen und ähnlichen Phänomenen. Die Ausstellung im mumok ist wichtig, um zu verstehen, was jüngere Künstler heute machen.

 

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Die Kunstwerke aus Ihrer Sammlung hängen in jedem Stockwerk. Sie haben eigentlich das mumok infiziert.

Das scheint mir übertrieben. Meine Frau und ich haben mit unserer Schenkung eine Lücke gefüllt. In den 80ern, als die Neue Malerei angesagt war, hat sich niemand etwas aus rechten Winkeln gemacht. Damals haben wir begonnen, unsere Sammlung aufzubauen. Schon in meiner Dissertation über Wandmalereien im Loirebecken im 12. Jahrhundert habe ich ein Kapitel über die geometrische Komponente in der Malerei von Tours verfasst. Damals hatten wir mit zeitgenössischer Kunst noch wenig zu tun. Hildegard Joos, Oskar Putz, Grita Insam und andere haben uns für die geometrische Kunst gewonnen.

Informelle Malerei und Aktionismus wurden in Österreich teilweise als Fortsetzung des barocken Überschwangs gedeutet. Wie haben Sie das erlebt?

Worüber ich in meinen Texten nachdenke, sind die Folgen des aufgeklärten Katholizismus des frühen 19. Jahrhunderts. Von dort gibt es Entwicklungen zum Positivismus und zum Formalismus. Wichtig ist zum Beispiel eine Entwicklungslinie, die über Otto Neurath bis zu den visuellen Informationssystemen der Gegenwart führt. Doch die Gegenreformation mit ihrem Pomp kommt noch immer besser an als analytisch-rationales Denken und Gestalten. Ich möchte mit der Behauptung provozieren, dass Otto Neurath oder der Begründer der Zwölftonmethode, Josef Matthias Hauer, auf kulturelle Strömungen des 20. Jahrhunderts mehr Einfluss genommen haben als Klimt und Schiele.

Was würden Sie sich in Hinblick auf die populäre Akzeptanz abstrakt-geometrischer Kunst wünschen?
Sie sollte, so wie alle anderen Kunstströmungen, überall vorkommen. Österreich war in den 1980ern u.a. ein Brennpunkt des Neo-Geo (eine damals neue Tendenz der abstrakt-geometrischen Kunst, Anm.). Jetzt gibt es eine jüngere Generation, die aus diesen Traditionen kommt. Wir sammeln auf dieser Ebene weiter.

 

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Eine Frage an Sie als Museologe: Würden Sie der Landesgalerie NÖ in Krems geraten haben, ein Gebäude zu bauen, das keine plane Fläche hat?

Ich bin daran schuld! Ursprünglich waren gerade Einbauwände vorgesehen. Christian Bauer, der Direktor, und ich haben den Architekten gesagt: „Lasst die geraden Wände weg, es wäre schade, wenn man die prägnante äußere Form im Inneren nicht erleben kann.“ Stellen Sie sich vor, man sieht dieses gedrehte Gebäude, geht hinein und hat lauter Schachteln vor sich! Das wäre verrückt! Wir haben gesagt: Diese Wände sind ein besonderes Raumerlebnis, wir stellen, ohne diese Struktur auszublenden, die notwendigen Wände hinein. Friedrich Kiesler hat vorgemacht, wie man an einer gebogenen Wand Bilder hängen kann. Die auf Kuratoren zukommenden Probleme zu lösen, ist es wert, den architektonischen Charakter erlebbar zu machen.

Vor der Albertina und dem Belvedere brauchte man zuletzt ein Zelt, vor dem KHM Kassencontainer. Wie sehen Sie die Herausforderungen an Museen, Massenanstürme zu bewältigen?

Das Problem wird sich lösen, wenn sich das, was man heute in Frankreich unter der Bewegung der Gelben Westen versteht, ausbreitet: Wenn die Leute, die sich das, was ihnen Medien zum Kauf nahebringen, nicht mehr leisten können, aufstehen und sagen: „Schluss damit!“ Mein Gefühl ist, dass uns die Zeit weit voraus läuft, und wir sitzen in einem Käfig und merken nicht, wie wir hinten nach bleiben. Ich habe gerade erst eine Machbarkeitsstudie für ein „Forum Recht“ für den Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe gemacht. Eine Kernaussage ist: Das Recht darf man nicht in ein Museum stecken, weil dann bleibt das Unrecht alleine draußen. Mir scheint, damit haben wir zur Zeit auch in Österreich einige Verständigungsprobleme. Oder? Von 2000 Quadratmetern sind daher fast 50 Prozent als Aktionsflächen für gesellschaftliche Partizipation und Interaktion mit Menschen geplant.

Einige Museumsdirektoren kritisieren jedoch dieses Verhältnis von Ausstellungs- und Aktionsflächen.

Aber wenn wir nicht mehr wissen, wie wir mit den Leuten reden sollen, dann sollten Museen in ihrem Zentrum Raum schaffen für partizipatives, kreatives Arbeiten und Reden – nicht mit Vertretern der Kulturszene, sondern mit den Museen unbekannten Teilen der Gesellschaft. Den brennenden Fragen der Gegenwart sind ausnahmslos Aspekte des Kulturellen eigen.

Es gehen trotzdem Massen ins Museum.

Ja. Aber.... Ich bin kein Pessimist, aber ich glaube, es werden sich die Probleme verschieben. Und die Qualität dessen, was die Leute mitnehmen, wenn sie bei der Museumstür hinausgehen, wird sich im Verhältnis zur Quantität ändern müssen. Also weniger Leute, dafür mehr Zeit für eine höhere Qualität der zeitbezogenen Reflexion historischer Phänomene. Aber dafür muss sich der Museumsbetrieb und der kultur- und gesellschaftspolitische Auftrag der Museen ändern. Ich kann schon nicht mehr hinhören, wenn sich Museumsdirektoren einen Quotenkampf liefern.

 

Zu den Personen

Der Kurator Dieter Bogner (*1942) entwickelte 1989 das Konzept für das Museumsquartier Wien und leitete bis 1994 die Planungen.   Seither berät er Museen im In- und Ausland (zunächst mit seiner Firma bogner.cc, seit 2017 bogner.knoll).  1997 begründete er die Friedrich und Lilian Kiesler-Privatstiftung.  2016/’17  war  er interimistischer Geschäftsführer des  BelvederesBogner  gestaltete zahlreiche Ausstellungen – u.a. zu  Kiesler im MAK – und betreibt einen Kunstraum auf Schloss Buchberg/NÖ.


Der Künstler Stanislav Kolíbal wurde  1925 in Orlová/CZ geboren und lebt in Prag. Seit den 1960er-Jahren entwickelte er ein umfassendes Werk, in dem die Strenge und Reduktion geometrischer Formen immer wieder unterlaufen wird. Kolíbal  arbeitete auf Papier, in Gips und anderen Skulpturmaterialien, mit Malerei, oft aber auch pur konzeptuell. Sein Werk wurde u. a. im MoMA New York ausgestellt, ist aber international noch wenig bekannt. Der Biennale-Pavillon eröffnet am 8. 5.