Kultur

Abschied von gestern

Sils Maria liegt in den Schweizer Alpen im Engadin, zwischen Bergen und Gebirgsseen. Friedrich Nietzsche liebte die Landschaft und sah Zarathustra vorübergehen; Hermann Hesse verbrachte dort seine Sommerfrischen.

Auch Olivier Assayas, mit Filmen wie "Irma Vep" und "Carlos" Frankreichs Speerspitze des intelligenten Kinos, fand in Sils Maria Inspiration. Dort, in einem abgelegenen Chalet, inszenierte er ein tolles Duell der Diven: Juliette Binoche trifft auf Kristen Stewart, Camille Claudel auf Bella Swan. Die eine ist Ikone europäischer Schauspielkunst, die andere der Schwarm von Millionen von Teenagern. Zwei Großschauspielerinnen, zwei Generationen, zwei Formen des Kinos prallen aufeinander.

Die Elektrizität und die Sexiness von Assayas’ gewitzter und treffsicher inszenierten Psycho-Tragikomödie speist sich genau aus diesen Spannungen – und dem knackigen Spiel zweier wunderbarer Schauspielerinnen.

Binoche spielt Maria Enders, eine berühmte Schauspielerin, die gerade für ein Stück probt. Kristen Stewart spielt Valentine, die persönliche Assistentin von Maria Enders und Stichwortgeberin bei den Textproben.

Das Theaterstück, das die beiden proben, hat es ebenfalls in sich. Maria Enders soll die vierzigjährige Helena spielen, die sich in die zwanzig Jahre jüngere Assistentin Sigrid verliebt. Sigrid benutzt die ältere Frau, treibt sie in den Selbstmord.

Altersunterschied

In ihrer Jugend hatte Maria Enders die Sigrid gespielt, nun soll sie zwanzig Jahre später die ältere Frau verkörpern. Und das fällt ihr schwer. Denn Maria kann sich nicht von der Idee verabschieden, dass sie immer noch – zumindest im Herzen – die junge Sigrid ist. Sie hasst die Rolle der älteren Frau, hasst es, wie sie sich für ein junges Ding wegwirft.

Wenn Kristen Stewart als Assistentin zu Binoche als Maria Enders sagt: "Du bist von mir abhängig", dann liest sie zwar nur eine Textstelle vor. Gleichzeitig aber suggeriert Assayas, dass zwischen den Frauen eine Spannung schwebt, die der Theatertext widerspiegelt.

Ebenfalls Stress verursacht die Besetzung der Sigrid: Dazu engagiert der Theaterregisseur – ein schmucker Lars Eidinger – ein Hollywood-Starlet (Chloë Grace Moretz) aus einer Superhelden-Verfilmung. Naturgemäß hasst Maria Enders Superheldinnen und streitet mit ihrer Assistentin über den Schwachsinn von Celebrity-Kultur und der Flachheit von Blockbustern.

Die Idee zu dem Film stammt übrigens von La Binoche selbst. Sie war es, die Assayas das Projekt vorschlug. Und elegant erzählt Assayas das Drama der (älter werdenden) Binoche nicht als Zickenkrieg. Auch nicht als satirische Überhöhung wie David Cronenberg in "Maps to the Stars" mit Julianne Moore. Sondern als eine Unausweichlichkeit, die alle trifft. Besonders die Frauen.

KURIER-Wertung:

INFO: "Die Wolken von Sils Maria". Drama D/F/CH 2014. 124 Min. Von Olivier Assayas. Mit Juliette Binoche, Kristen Stewart, Chloë Grace Moretz, Lars Eidinger.

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