Kultur

"3 Herzen": Die Schwägerin auf Skype

Hätten sie bloß ihre Telefonnummern ausgetauscht, alles wäre anders gekommen.

Doch Melodramen leben von den verpassten Gelegenheiten, von den verunglückten Treffen, den schicksalshaften Missverständnissen. Und von der Trauer um das nicht gelebte Leben.

Deswegen tauschen Marc und Sylvie, die sich auf den ersten Blick ineinander verliebt haben, nicht ihre Telefonnummern aus. Deswegen verabreden sie, die sich in einem französischen Provinznest zufällig kennengelernt haben, ein Treffen in einem Park in Paris. Nächsten Freitag, abends um sechs Uhr. Da wollen sie sich wieder sehen und überprüfen, ob ihre gegenseitige Anziehungskraft auch tatsächlich hält.

"Ich werde da sein", sagt sie, doch das drohende Geigengrollen auf der Tonspur verheißt nichts Gutes.

Sie wird tatsächlich da sein, doch er, er wird das Treffen versäumen. Und beider Leben wird eine fatale Wendung nehmen.

Benoît Jacquot ("Leb wohl, meine Königin!") gilt als Frauenregisseur, und vielleicht erzählt er deswegen diesmal aus der Perspektive des Mannes. Nachdem dieser sich von dem Verlust seiner Zufallsbekanntschaft erholt hat, lernt er wieder eine junge Frau kennen – Sophie. Und diesmal kennt er ihre Adresse. Die beiden verlieben sich und planen die Hochzeit.

Was Marc nicht weiß, aber wir als Zuseher schon (eine typische Melodramenregel: Der Zuseher weiß immer mehr als die Figuren): Sophie ist die Schwester von Sylvie, die nach der missglückten Begegnung mit Marc deprimiert nach Amerika ausgewandert ist. Sie meldet sich nur per Skype in das Leben ihrer Schwester zurück. Und irgendwie schafft es Marc lange, nicht zu überzuckern, dass die zukünftige Schwägerin auf Skype die verlorene Zufallsliebe ist.

Hang zum Horror

All diese Unwahrscheinlichkeiten inszeniert Jacquot als glasklares Melodram mit Hang zum Horror. So künstlich auch die Situationen, so real entfalten sie sich in ihrer existentiellen Gefühlsdramatik. Zumal sie von exzellenten Schauspielern exekutiert wird: Charlotte Gainsbourg irrlichtert als versponnene Sylvie durch ihr eigenes Leben und entzündet im getriebenen Marc zügelloses Begehren. Die brave Schwester Sophie hingegen – eine fragile Chiara Mastroianni – bietet bürgerliche Sicherheit und familiären Komfort. Catherine Deneuve als Mutter der beiden Schwestern – und im echten Leben die Mutter von Mastroianni – zieht ihre typische Deneuve-Schnute und beobachtet mit Sorge den Kummer ihrer beiden Töchter. Und der belgische Komiker Benoît Poelvoorde dringt als zerknautschter Marc in das bürgerliche Matriachat ein, auf der vergeblichen Suche nach Ruhe für sein infarktgefährdetes Herz.

Familienleben versus Amour Fou. Das Leben, das man lebt, und das, das man verpasst hat. Am Ende flüchtet sich die Kamera in den Park, wo sich Marc und Sylvie nicht getroffen haben.

Dorthin, wo alles hätte anders kommen können.

INFO: F/D/B 2014. 106 Min. Von Benoît Jacquot. Mit Charlotte Gainsbourg, Chiara Mastroianni, Catherine Deneuve, Benoît Poelvoorde.

KURIER-Wertung:

Alle Inhalte anzeigen

Was Liam Neeson gut kann, kann Sean Penn überhaupt nicht: Einen zweistündigen Action-Knaller drehen und dabei gute Figur machen. Nicht, dass Penn seinen Körper nicht beinhart im Fitness-Center gestählt hätte. Man mag sich gar nicht vorstellen müssen, wie lange er ins Eisen gebissen hat, bis ihm die Adern wie Kabel aus den Muskelpaketen quollen.

Allerdings sieht das nur bedingt gut aus. Zumal sich im Vergleich zu seinem auftrainierten Stahl-Körper das Sean-Penn-Gesicht vergleichsweise zerknautscht ausnimmt. Und gegerbt wie ein Stück Brot.

Misslungen ist aber nicht nur das Fitness-Programm. Auch der sogenannte Polit-Thriller, der im Kongo beginnt und scheinbar auch Kritik üben will an den Machenschaften der westlichen Industrienationen in Afrika: Penn spielt da einen Söldner namens Jim Terrier(!), der einen afrikanischen Politiker erschießt und dann untertauchen muss. Zurück lässt er seine mindestens zwanzig Jahre jüngere Geliebte, die seinem Ex-Kollegen Felix (einem gelackten Javier Bardem) als Trostpreis zufällt.

Viele Jahre später – Jim Terrier bereut längst seine Taten als Auftragskiller und arbeitet zur Buße als Entwicklungshelfer im Kongo – wird er von einem Killerkommando heimgesucht. Und ab da quer durch Europa gejagt.

Natürlich kommt es zu einer Konfrontation zwischen Jim und Felix (wegen der ausgespannten Freundin). Sean Penns Mundwinkel hängen – wenn irgendwie möglich – danach noch tiefer herunter als vorher. Es folgt ein beispielloses Blutbad zwischen London und Barcelona – gefilmt mit einer hysterisch aufgescheuchten Kamera und angetrieben von einem klopfend-faden Soundtrack.

INFO: E/GB/F 2015. 115 Min. Von Pierre Morel. Mit Sean Penn, Javier Bardem, Idris Elba.

KURIER-Wertung:

Alle Inhalte anzeigen

Es gibt Filme, die das Kino brauchen. Einer davon ist "Gehen am Strand" von Caspar Pfaundler. Sein Film braucht einen verdunkelten Ort, in dem man ausharrt, bis das Saallicht wieder angeht.

Im Mittelpunkt der Nicht-Handlung steht Anja. Sie ist Ende Zwanzig und fast fertig mit dem Studium, kann sich aber nicht zum Schreiben der Diplomarbeit durchringen. Ähnlich unentschlossen ist sie in ihren Beziehungen. Im Schwebezustand zwischen Depression und Rebellion lebt sie ohne Handy und Internet. Als ihre Großmutter in Den Haag stirbt, fährt Anja zum Begräbnis und trifft dort ihren Vater, der sie und ihre Mutter verlassen hatte, als sie noch ein Kind war.

Beim Gehen am Strand stellt sich Anja Fragen, deren Beantwortung sie aus der Gefangenschaft ihres Gemütszustands befreien könnten: Wer bin ich wirklich und wie unabhängig sind meine Entscheidungen? Antworten auf diese Fragen gibt es keine – weder für die Protagonistin noch für die Zuschauer. "Gehen am Strand" ist ein Roadmovie durch eine Sinnkrise – und nach "Lost & Found" und "Schottentor" - der Abschluss von Caspar Pfaundlers "Trilogie des Verlorenseins".

Pfaundler erzählt die Geschichte eines inneren Widerstands fast ohne Dialoge und in langsamen, einfachen Bildern. Die Stille des Films gibt den Zuschauern Raum, die Handlung mit eigenen inneren Monologen zu füllen. Kino als Therapiesitzung, die viel Geduld erfordert.

Info: Gehen am Strand. Ö 2013. 112 Min. Von Caspar Pfaundler. Mit Elisabeth Umlauft, Harry Lampl, C. Martini.

KURIER-Wertung:

Alle Inhalte anzeigen

Mitte der 90er-Jahre muss die französische Le Monde ihren Lesern noch erklären, was genau eigentlich "Ecstasy" ist. Für die Mutter eines Sohnes, der von Beruf DJ ist, eine interessante Info – zumal sie statt DJ versehentlich immer noch DG sagt. Doch bald feiert die französische House-Music ihre Höhepunkte in der Pariser Clubszene und bringt ein Star-Duo wie Daft Punk hervor.

Die junge französische Regisseurin Mia Hansen-Løve taucht tief in die Pariser House-Szene der 90er-Jahre ein, erzählt aus der Perspektive eines DJs namens Paul. Inspiriert von dem Leben ihres Bruders Sven Hansen-Løve, der selbst als House-DJ erfolgreich war und am Drehbuch mitschrieb, dokumentiert die Regisseurin unaufgeregt, aber mit unglaublicher Sogkraft die Magie einer (nächtlichen) Musik-Szene, die irgendwann zerfällt und all jene, die es nicht zu Starruhm gebracht haben, ernüchtert zurücklässt.

INFO: F 2014. 131 Min. Von Mia Hansen-Løve. Mit Félix de Givry, Pauline Etienne, Greta Gerwig.

KURIER-Wertung:

Alle Inhalte anzeigen