Kultur

Revolution endet in bürgerlicher Knastwelt

Kaum einer hat die deutsche Film- und Fernsehlandschaft so beeinflusst wie Dominik Graf. Der deutsche Regisseur – Meister der Polizei-Serie und der Thriller-Spannung – hat nach acht Jahren Fernseh-Arbeit erstmals wieder einen Kinofilm gedreht. In "Die geliebten Schwestern" (ab Freitag im Kino) erzählt er blendend von der Dreiecksbeziehung zwischen Friedrich Schiller und zwei Schwestern, der verheirateten Caroline von Beulewitz und Charlotte von Lengefeld.

KURIER: Friedrich Schiller, großer deutscher Dichter und Pflichtlektüre jedes Gymnasiasten, hatte ein Liebesverhältnis mit zwei Schwestern. Ist das ein gut gehütetes Geheimnis der Literaturgeschichte?

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Dominik Graf:Ich selbst bin aus bildungsbürgerlichem Haushalt und hatte noch nie davon gehört. Schiller gilt ja nicht als Liebesakrobat, sondern eher als Pathetiker. Bei ihm denkt man an Sturm und Drang, politischer Klassiker, früher Tod, Genie. Als ich von seinem Verhältnis mit den Lengefeld-Schwestern erfuhr, wurde ich sofort in diesen Stoff hineingezogen.

Was hat Sie daran interessiert?

Es handelt sich um eine Liebesutopie, und das hat mich sehr berührt. Die Geschichte spielt 1788, in vorrevolutionären Zeiten, wo es auch den Versuch gab, die Liebe zu revolutionieren. Diese drei Menschen haben einander unglaublich lieb gehabt und sie wollten einander nichts Böses. Es gab keine Intrigen, keine Eifersucht – es sollte einfach ein glückliches Arrangement werden. Anfangs hat das gut geklappt.

Letztlich aber sind alle gescheitert – und die Schwestern haben sich entzweit.

Das Leben ging einfach weiter. Man wird älter, alles wird schwieriger, Widersprüche brechen auf, Eifersüchteleien. Auf einmal funktioniert nichts mehr. Und das alles mit einem Mann, der zehn Jahre seines Lebens in Zeitlupe stirbt (Schiller litt an Tuberkulose, Anm.). Das war auch ein Drama, das dazugehörte.

In Ihrem Film sind Worte ganz entscheidend: Die Liebenden schreiben sich andauernd Briefe, sprechen über ihre Gefühle...

Der Grundimpetus meines Films ist natürlich der Liebesdiskurs: Wie redet man über Liebe, wie redet man über Gefühle? Wir leben ja jetzt in einer Zeit, wo man leicht den Eindruck bekommt, die Sprache hätte ein Defizit. In vielen Filmen ist Sprache eher ein Hindernis zwischen Menschen, und diese Filme konzentrieren sich auf Bilder, die dann mehr erzählen sollen als Worte. Ich komme aber aus einer Zeit, wo man über Liebe geredet hat und wo man das Gefühl hatte, seine Begeisterung in Worte kleiden zu können. Dieses Zutrauen in Worte habe ich bei den Dreien wiedergefunden. Deswegen haben Worte – geschrieben, gesprochen, gedruckt – so viel Platz in meinem Film.

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Erinnert Sie der permanente Briefwechsel zwischen den Dreien an unsere SMS-Kultur?

Ja, aber damals schrieb man sich seitenlange Briefe – das ist ein anderes Mitteilungsbedürfnis, als der Telegrammstil, den wir pflegen.

In Ihren Filmen ist das Liebesdreieck öfters Thema. Warum?

Das Liebesdreieck ist ein Balanceakt vom ersten Moment an: Man kann als Regisseur sofort alles ins Drama treiben. Man kann aber auch länger die Waage halten und beobachten, wohin das Verhältnis kippt. Ich finde, das Dreieck bringt Spannung in das Nachdenken über Liebe.

Sie richten Ihre Kamera immer wieder auf Tapetenmuster. Warum betonen Sie die Fläche?

Ich zeige Menschen grundsätzlich lieber vor Wänden als in der Raumtiefe. Ich habe auch den Eindruck, dass sich Leute damals noch nicht dreidimensional wahrgenommen haben. Mir würde es schwerfallen, mit der Kamera hinter ihnen durch Schlossgänge zu rennen, wie man es oft in englischen Kostümfilmen sieht. Die Leute haben sich nicht als Torpedos empfunden, alles war langsamer und statuarischer.

Das ist nicht Ihr erster Film, der im 18. Jahrhundert spielt. Was interessiert Sie an dieser Zeit?

Mich interessiert der Übergang von der höfischen in die bürgerliche Gesellschaft. Normalerweise gilt die bürgerliche Gesellschaft ja als Fortschritt gegenüber dem aristokratischen Klassensystem. An den Übergängen interessieren mich aber gerade die Stellen, wo Utopien in Katastrophen ausarten. Das habe ich auch in meiner eigenen Lebenszeit in Deutschland so empfunden – dieser Wechsel zwischen dem Aufbruch 1968 – und auch den damit verbundenen Lügen. Dann der Katastrophengang in den Terrorismus, später die Wende und der Jubel darüber. Jede dieser Wellen – die Restauration, genauso wie die Revolte – ist mit einer tiefen Enttäuschung verbunden. So ähnlich stelle ich mir auch die Zeit kurz vor der französischen Revolution 1789 vor. Auch da folgte die Desillusionierung, alles ging langsam in die bürgerlichen Knastwelten über. Dort ist dann die politische Utopie abgeschrieben. Ich selbst bin 1952 geboren und habe das Gefühl, ich kann das alles in meiner Generation nachvollziehen.

Apropos nachvollziehen: Caroline schreibt Fortsetzungsgeschichten, auf die alle mit großer Spannung warten. Das erinnert daran, wie wir heute TV-Serien ansehen.

So war das auch gemeint. Ich selbst finde US-Serien toll, bin aber in den 90er-Jahren bei "Akte X" und "Homicide" stecken geblieben. Ab 2000 begann die US-Welle für mich zum Selbstzweck zu werden. All diese Wendungen, Tricks und Kniffe für die Zuschauer – das kommt mir etwas unfilmisch vor. Da habe ich keine Zeit, mich in Raum und Zeit einzufinden, sondern bekomme gleich die nächste Dramaturgie-Watsche. Ich bin eher Fan der alten Serien, wie Reitz’ "Heimat", oder auch Cortis "Welcome in Vienna". Das sind wirkliche Epen. Die müssen nicht alle fünf Minuten mit dem Teufel aus der Kiste kommen, um den Zuschauer von der Fernbedienung abzuhalten.