Kultur

Die Frau, die mein Klo putzt

Pflegerinnen aus der Slowakei und Polen haben Europa in den vergangenen 20 Jahren mehr zusammengeführt als so manche Politiker, sagt die Journalistin Sibylle Hamann. Im KURIER-Gespräch erklärt sie, warum Begriffe wie „wir“ und „die“ längst überholt sind – und wie es sich anfühlt, Putzfrau zu sein.

KURIER: Sie beschäftigen sich in Ihrem Buch „Saubere Dienste“ mit Dingen, die wir vielleicht gar nicht so genau wissen wollen. Warum?

Sibylle Hamann: Auf Reisen bin ich oft auf Menschen gestoßen, die über ihre Arbeitsaufenthalte im Westen berichteten. Sie haben unsere Gesellschaft aus einer völlig anderen Perspektive wahrgenommen. Wir sehen immer nur unsere Seite. Ich wollte wissen, was diese Migration für beide Seiten – auch für die Herkunftsgesellschaft – heißt.

 

Was konnten Sie da für sich entdecken?

Es ist gut, die Perspektive zu verändern. Für mich war faszinierend, wie sehr alles zusammenhängt. Die Verhältnisse sind so verschränkt, das ist gar nicht mehr zu trennen. Es sind eigentlich moderne Biografien. Weltweit leben viele Menschen einige Jahre hier, dann einige dort. Nur in unserem Konzept kommt das nicht vor. Es wird eine Entscheidung gefordert, wo man bleiben will. Wir brauchen einen neuen Begriff von Immigration.

Wie meinen Sie das?

Moderner wäre es, sich zwischen verschiedenen Polen zu bewegen. Ich bin der Meinung, die Polinnen oder Slowakinnen etwa haben auf ihre Art den Eisernen Vorhang aufgebrochen. Sie haben durch ihre Migration Europa erst zusammengebunden. In höheren Ebenen ist derartige temporäre Migration übrigens schon lange selbstverständlich. Für Manager ist es üblich, einige Jahre in einem anderen Land zu arbeiten und dann weiterzuziehen.

Sie schreiben aber von Putzfrauen, Pflegerinnen, eben Dienstleisterinnen.

Ja, weil ich die Wirklichkeit beschrieben habe. Der gesamte häusliche Bereich hängt an Frauen. Solange die Zuständigkeit dort kleben bleibt, wird sich an der Schieflage zwischen den Geschlechtern nichts ändern. Obwohl beide Geschlechter dafür zuständig sind.

Schlüsselrollen haben immer auch die Daheimgebliebenen. Die Ehemänner, die den Haushalt führen oder die Großmütter, die die Kinder betreuen. Es ist wirklich ein weltumspannendes Beziehungsgeflecht.

 

Glauben Sie, die Frauen werden ausgebeutet?

Natürlich bestehen vielfach einseitige Abhängigkeiten – von der Wohnsituation bis zur Bezahlung. So einfach ist die Sachlage aber nicht. Denn Arbeit im Haushalt wird nicht per se als erniedrigend empfunden, sondern weil sie in erniedrigende Beziehungen eingebettet ist. Hierarchien machen einen gesellschaftlichen Status klar. Heute ist das aber nicht mehr so klar ersichtlich wie früher. Wenn die Putzfrau aus Moldawien einen höheren Bildungsstatus hat als man selbst oder akzentfrei deutsch spricht, ist man peinlich betreten: Gehört sich das, dass die mein Klo putzt? Das ist eine verständliche Reaktion, das will ich gar nicht verurteilen. Aber auch sonst herrscht Doppeldeutigkeit. Es geht nämlich nicht nur um die Perspektive der Ausbeutung. Die Arbeit in der Fremde kann ebenso Emanzipation sein. Etwa, wenn die Distanz vor einem gewalttätigen Ehemann schützt. Eigenes Geld und sozialer Aufstieg machen unabhängiger.

 

Warum haben Sie einen Selbstversuch als Putzfrau gestartet?

Ich wollte wissen, worüber ich schreibe. Und es hat mich wirklich Überwindung gekostet, in diese Rolle zu schlüpfen. Aber ich habe auch eine familiäre Verbindung zum Thema. Die Ururgroßmutter meiner Kinder stammte aus Mähren und war ein typisches Wiener Dienstmädchen. Aus ihrer Biografie lässt sich vieles herauslesen über Hoffnungen und Wünsche von Migrantinnen. Über diesen historischen Diskurs habe ich gemerkt, dass das Thema Migration auch in meiner Geschichte steckt. Wenn man sich das bewusst macht, kann man leichter damit umgehen.

Mehr zum Thema

  • Hauptartikel

  • Hintergrund