Kultur

Dann war da noch dieser Fisch

Mit „Jaws“, dem Titel des Romans, waren vor 40 Jahren in erster Linie die menschlichen Kiefer gemeint, mit deren Hilfe alles zermalmt und gefressen wird.

Gierig, obwohl man doch eh schon satt ist.

Es ging um Korruption, ums Mafiöse in dem symbolischen Touristenbadeort Amity an der friedlichen Küste von Long Island. Der Bürgermeister handelte so nebenbei mit Immobilien.

Und dann tauchte noch ein Fisch auf. Großer Fisch. Sehr starke Kiefer. Ein Hai. Weißer Hai. Er biss und biss und verfolgte sogar ein Schiff. Ein Schmarrn, aber auch im Buch effektiv.

Freude bei Fidel

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Der Amerikaner Peter Benchley, der vorher Reden für US-Präsident Lyndon B. Johnson geschrieben hatte, bereute seinen Roman bis zu seinem Tod 2006.

Davon abgesehen, dass ihn „Der Weiße Hai“ reich gemacht hat: 20 Millionen Exemplare wurden ab 1974 verkauft. Fidel Castro sprach damals in ein Mikrofon, das Buch sei eine glänzende Metapher für das korrupte kapitalistische System.

In Erinnerung aber blieb nur, was Regisseur Steven Spielberg ein Jahr später mit Roy Scheider und Richard Dreyfuss ins Kino brachte.

Produzent Richard Zanuck hatte gleich zu Beginn der Dreharbeiten zu Benchley gesagt: „Dieser Film wird von A bis Z eine Abenteuergeschichte sein, mit geradlinigem Verlauf, und deshalb möchten wir, dass Sie den ganzen romantischen Kram, das Mafia-Zeugs und alles, was lediglich ablenkt, herausnehmen.“

Und Peter Benchley ließ es nicht nur geschehen, sondern arbeitete sogar am Drehbuch mit. Zwar erlaubte er sich seitenlange Briefe mit Kritikpunkten, doch rechnete er völlig zu Recht damit, man werde daraus ein Papierflugzeug basteln.

Damit war der Weiße Hai zum Dämon geworden, zum Symbol der feindlichen Natur – der Film löste nicht nur Angst beim Baden aus, sondern Hass: Menschen machten im Meer gezielt Jagd.

Peter Benchley: „Ich hätte den Hai als Opfer darstellen sollen!“

Hat er aber nicht.

Der Roman ist seit Jahren vergriffen. Vanessa Wieser – Verlegerin des kleinen, feinen Wiener Milena Verlags – hat ihn jetzt neu übersetzt. Lockerer, frecher als in der alten deutschen Fassung.

Vanessa Wieser: „Damals waren Schimpfwörter zensuriert worden. ,Marihuana‘ wurde durch ,Glücksspiel‘ ersetzt, und deutschsprachige Leser durften offenbar nicht dem Wort ,sonofabitch‘ ausgesetzt werden ...“ (Sie bekamen einen „Hundesohn“ serviert statt eines „Hurensohns“.)

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Was die Neuausgabe auszeichnet, ist gewissermaßen das Bonusmaterial. Benchley war Hai-Liebhaber seit seiner Jugend, und als ihm klar war, was er angerichtet hatte, war er nur noch Forscher, Aufklärer, Vermittler.

Ab den 1980er-Jahren wusste man bzw. Benchley viel mehr über den Carcharodon carcharias, dessen Bestände im Nordatlantik Schätzungen zufolge – auch wegen des „Hollywood-Effekts“ – um bis zu 89 Prozent zurückgingen.

Er suchte fortan förmlich Kontakt mit dem Weißen Hai – und entschuldigte sich:

„Ich könnte mein Buch heute unmöglich so schreiben ... Damals war allgemein akzeptiert, dass Weiße Haie Menschenfresser sind. Heute wissen wir, dass fast jeder Angriff auf einen Menschen versehentlich geschieht.“

Manche sehen halt den Robben ziemlich ähnlich.

KURIER-Wertung:

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Verlegerin (und Übersetzerin) Vanessa Wieser hat dafür gesorgt, dass im „Weißen Hai“ auch Benchleys spätere Reportagen für National Geographic abgedruckt sind; In einem Text richtete er sich an die Leser:

„Als ich das Buch schrieb, gab es die Umweltbewegung, wie wir sie heute kennen, nicht. Gewiss, er formierte sich eine stetig wachsende Gemeinde von Walschützern. Klar, die Menschen waren sich bewusst, dass Luft- und Wasserverschmutzung ein Problem darstellte. Doch für die allgemeine Bevölkerung blieben die Ozeane , was sie immer gewesen waren – eine ewig währende Wassermasse, unverwundbar und imstande, alles, was die Menschheit in sie reinwarf, zu verdauen. Und was Haie anbetraf ... nun, lediglich eine Handvoll Leute auf der Welt wussten etwas über Haie Ich war stolz darauf, mehr über Haie zu wissen als der Durchschnittsbürger, gleichwohl erlag ich der anekdotischen Evidenz und akzeptierte sie als Fakt – und Anekdoten gab es ohne Ende. Griffen Haie Boote an? Natürlich. Gingen sie auf Menschen los? Aber klar.“

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