Der Holocaust-Überlebende Walter Arlen starb mit 103 Jahren
Von Thomas Trenkler
Er war einer der letzten Holocaust-Überlebenden. Nun, am 2. September, ist Walter Arlen in Los Angeles gestorben - mit 103 Jahren.
Er war am 31. Juli 1920 als Walter Aptowitzer in Ottakring geboren worden – und zwar in der Herrschaftswohnung über dem Warenhaus Dichter beim Brunnenmarkt, das sein Großvater gegründet hatte.
Im Interview mit dem KURIER erinnerte er sich: „In den frühen 20er-Jahren, wie die Grammophone aufgekommen sind, hat er überall im Warenhaus Lautsprecher montieren lassen. Der erste Stock war mein Revier. Weil dort auch die Spielwarenabteilung war. Ich hatte nie Spielzeug zu Hause, denn es gab eh alles im Warenhaus. Schon als kleines Kind bin ich immer runtergegangen. Und es war immer a Musik, natürlich Schlager. In einem kleinen Raum ist das Fräulein Mizzi gesessen und hat den ganzen Tag Platten auf das Grammophon gelegt. Ich hab’ also immer die Musik gehört. Und auf einmal hab’ ich angefangen mitzusingen.“
Die Familie wurde aufmerksam und förderte das Talent, der Bub erlernte das Klavierspiel. Und nach einer „Tosca“-Vorstellung in der Staatsoper als Elfjähriger begann Arlen zu komponieren.
Ende Jänner 1933 kam Hitler in Deutschland an die Macht, kurz danach wurden die Rechte der Juden eingeschränkt. Unmittelbar nach dem „Anschluss“ im März 1938 plünderten Nationalsozialisten die Wohnung, das Kaufhaus wurde „arisiert“. Sie verhafteten den Vater, der zunächst nach Dachau kam, später nach Buchenwald. Er wurde aber schließlich frei gelassen und konnte mit seiner Frau und seiner Tochter fliehen.
Schon zuvor hatte sich Walter Arlen auf den Weg gemacht. „Ich bin am 14. März 1939 weg. Wie meine Mutter und meine Schwester überlebt haben: Ich weiß es nicht. Wir haben nie darüber geredet. Mein Vater hat auch nie darüber erzählt, was in Dachau und Buchenwald vorgefallen ist. Und ich habe nie gefragt. Wenn er angefangen hätte, etwas zu erzählen, hätte ich in ausgefratschelt. Aber da er nie ein Wort darüber verloren hat… Jedenfalls: Meine Eltern und meine Schwester sind mit ihm nach England.“
Die Flucht verlief problemlos. Aber die Ausreisebewilligungen und einen Pass zu bekommen, war schwierig gewesen: "Man musste sich auf der Prinz-Eugen-Straße vor dem Palais Rothschild, das dann zerstört wurde, anstellen. Ich bin um acht Uhr abends hingegangen, im Jänner, und die ganze Nacht g’standen. Es hat geschneit, es war eiskalt. Eine lange, lange Schlange. Wie es Tag geworden ist, lag tiefer Schnee. Dann kamen die Nazis mit Gewehren. Sie brachten Schaufeln. Und sie haben nur alte Juden ausgesucht, um Schnee zu schaufeln. Einer konnte nicht mehr. Er stützte sich auf den Stiel. Die Nazis schrien ihn an: 'Du Saujud! Schaufel!' Aber er rührte sich nicht. Dann haben sie ihm die Schaufel weggenommen. Der alte Mann fiel um. Und dann haben sie ihm mit der Schaufel den Kopf abgeschlagen. Vor mir. Vor allen. Und das Blut auf dem weißen Schnee. Das werd’ ich nie vergessen."
Walter Arlen kam nach New York und übersiedelte 1951 nach Santa Monica. Er besuchte einen Kurs über Musikkritik - und war dann 30 Jahre lang Musikkritiker der "Los Angeles Times". Danach richtete er an der Loyola Marymount University ein Music Department ein, dem er vorstand, und komponierte wieder – bis zu seiner Erblindung durch Macula-Degeneration um das Jahr 2000. Walter Arlen kam immer wieder nach Wien und übergab der Musiksammlung der Wienbibliothek seinen Vorlass.