Der Fall "Goldene Adele", tendenziös erzählt
Von Thomas Trenkler
Die Frau in Gold" erzähle, beteuert der Filmverleih Constantin in den Presseunterlagen zwei Mal, eine "wahre Geschichte": Jene von Maria Altmann, die in der NS-Zeit aus Wien fliehen musste. Sechs Jahrzehnte später kämpfte die resolute Dame mit Witz und Charme von Los Angeles aus um die Restitution der fünf Klimt-Gemälde, die ihrem Onkel, dem Industriellen Ferdinand Bloch-Bauer, gehört hatten. Diese Bilder, darunter das ikonenhafte "Porträt Adele Bloch-Bauer I", waren im Zweiten Weltkrieg ins Belvedere gekommen.
Das wirkliche Problem ist jedoch, dass der Film Wahrheiten beugt und die Restitutionsgeschichte sehr tendenziös nacherzählt. Ein Grund dürfte sein, dass E. Randol Schoenberg, Altmanns Anwalt, als Gewährsmann diente. Er war "während der Entwicklungsphase des Skripts, vom dem er jede Fassung aufmerksam las, voll präsent".
Anders als bei den Liegenschaften gab und gibt es bei Kunstobjekten keine Verjährung und keine Einreichfristen. Im Film wird dies trotzdem behauptet. Und so reisen eine hinreißende Helen Mirren (als Maria Altmann) und Ryan Reynolds (als smarter Anwalt) überhastet von L.A. nach Wien. Diese Reise fand tatsächlich Ende März 1999 statt.
Auf der Lauer
Den beiden lauert im Film Daniel Brühl auf. Er stellt sich als Hubertus Czernin und "investigativer Journalist" vor, die Zeitschrift profil sei sein "Baby". Czernin hätte sich aber nie als "investigativer Journalist" vorgestellt, und er hätte nach dem "Rauswurf" 1996 (u.a. aufgrund einer Fotomontage am Cover, die einen nackten Franz Vranitzky zeigte) nie behauptet, profil-Herausgeber zu sein. Czernin war zurückhaltend. Im Film aber drängt er sich förmlich auf. Die Vorgeschichte – und damit Czernins Leistungen – werden völlig verschwiegen.
Sie sind aber wesentlich. Zu Weihnachten 1997 wurde bekannt, dass in New York zwei Bilder von Schiele aus der Sammlung Leopold beschlagnahmt worden waren, weil sie im Verdacht standen, NS-Raubkunst zu sein.
Plötzlich ging es um Provenienzforschung und die Aufarbeitung der Vergangenheit. Am 14. Februar 1998 veröffentlichte der Autor dieser Zeilen, damals Redakteur beim Standard, seine Recherchen über den Fall Rothschild; eine Woche später startete Czernin ebendort seine Serie "Das veruntreute Erbe": Er legte gleich im ersten Teil den Fall Bloch-Bauer dar, auf den er von der Historikerin Gabriele Anderl hingewiesen worden war.
Aber es werden nicht nur die Vorleistungen negiert: Auf die Frage nach seiner Motivation antwortet der Film-Czernin, er habe als 15-Jähriger herausgefunden, dass sein Vater „Nazi“ gewesen sei. Seither bemühe er sich um Wiedergutmachung.
Das ist vollkommen daneben. Sein Vater, Felix Czernin, war zwar Mitglied der NSDAP, doch gegen Ende des Krieges wurde er inhaftiert und des Hochverrats angeklagt. Bei der Überstellung ins Gefängnis gelang ihm die Flucht.
Hubertus Czernin war nichts mehr verhasst als die Lüge. Deshalb setzte er sich mit den dunklen Seiten Österreichs auseinander: Mit Kurt Waldheim, Jörg Haider und Hans Hermann Groer.
Alles unter Verschluss
Es wird aber noch absurder: Czernin behauptet im Film, einen "Maulwurf" im Belvedere zu haben. Dieser schleust Schoenberg und Altmann ins riesige Archiv des Museums ein. Und dort suchen die beiden hektisch in allen Regalen und Ordnern nach dem Testament von Adele Bloch-Bauer. Warum sollte dieses im Belvedere liegen? Adele starb 1925, lange vor der NS-Zeit und den Enteignungen. Und wenn eine Abschrift tatsächlich dort liegen sollte: Warum schaut man nicht im Findbuch nach?
Allein diese Aktion suggeriert, dass Österreich alles unter Verschluss hielt. Das war zwar so vor der Beschlagnahme der Schiele-Bilder. Aber bereits im Jänner 1998 wies die damalige Unterrichtsministerin Elisabeth Gehrer an, die Archive zu öffnen – auch für Journalisten. Angehörige haben seither keine Probleme, wenn sie in Dokumente Einsicht nehmen wollen.
Im Zuge der "Recherchen" von Schoenberg erfährt der Zuschauer, dass man im Belvedere die jüdische Vergangenheit des Porträts zu tilgen versucht hätte: Es sei umbenannt worden in "Die Frau in Gold". Quasi als Beweis wird die Beschriftung eingeblendet (in Englisch). Doch man sprach immer von der "Goldenen Adele". Und genau den Vorwurf, den der Film gegenüber den Österreichern erhebt, fällt auf ihn zurück: Der Titel lautet eben "Die Frau in Gold".
Schoenberg mag trotzdem stolz sein auf das Ergebnis. Er ist schließlich der siegreiche Held. Aber wie Czernin (gestorben 2006, wenige Monate nach der Restitution) kann sich auch Maria Altmann (gestorben 2011 mit knapp 95 Jahren) nicht gegen die Verzerrungen wehren. Am schlimmsten ist wohl die Rückblende ins Jahr 1938, als sie ihren kranken Vater in Wien zurücklässt. In Wirklichkeit blieb sie bei ihm – trotz der Gefahren:"Ich hätte meinen Vater nie verlassen. Er starb im Juli 1938 eines natürlichen Todes." Und dann erst floh sie mit ihrem Mann.
Ein bisschen mehr Zwischentöne hätte sie sich in dem Film "Die Frau in Gold" schon gewünscht, sagt die Schauspielerin Olivia Silhavy im KURIER-Interview, und muss lachen: "Wir Österreicher spielen die Bad Cops."
Viel Zeit für die Rollenvorbereitung gab es beim ersten Casting allerdings nicht. Fünf Minuten vor dem Vorsprechen bekam Silhavy, die man vor allem aus TV-Produktionen wie "Kaisermühlen Blues" und "Klinik unter Palmen kennt", einen Zettel in die Hand gedrückt, auf dem "Elisabeth Gehrer" geschrieben stand. In der gewünschten Szene musste sie vor laufender Kamera eine Ansage für CNN machen – "und das habe ich vier Jahre lang als TV-Sprecherin im ORF gemacht, das kann ich."
Schnörkellos
Als sie die Rolle bekam, studierte Silhavy, die Wienerin, Elisabeth Gehrer, die Vorarlbergerin, im Internet und lernte dabei, dass "Frau Gehrer sehr verbindlich war, sich auf Kaffeetratsch mit Maria Altmann traf, aber dabei versuchte, das Thema Restitution zu vermeiden. Sie erschien mir als eine politische Figur, die sich auf keine persönlichen Sachen einlässt."
Für ihr Schauspiel erhielt Silhavy klare Regie-Anweisungen: "Ich sollte schnörkellos spielen. Dabei hätte ich gerne versucht, mich etwas mehr zu winden. Der Österreicher redet ja gerne um den heißen Brei herum. Ich hätte auch versucht, den inneren Kampf meiner Figur mehr auszuspielen. Aber das war nicht erwünscht. Ich sollte schnell, direkt und klar sein."
Auch die Nachahmung eines "österreichischen Englisch" wollte niemand: "Da hieß es: ,Nein, um Gottes Willen! Sprechen Sie so gut Englisch wie möglich.’"
Sie selbst halte "Die Frau in Gold" für einen absolut wichtigen Film, sagt Olivia Silhavy: "Es gibt immer wieder Rechtsrucks – und da ist es ganz wichtig, dass jüngere Generationen über die Ereignisse aus der Vergangenheit erfahren."
Und die Adele?
Von der habe sie sich damals im Belvedere verabschiedet. Und wenn sie sie wiedersehen wolle, "dann schaue ich sie mir eben in New York an."