Kultur

"Wir leben im tiefsten Mittelalter!"

Wenn er warmgelaufen ist, kann sich David LaChapelle in einen ordentlichen Furor hineinreden.

Der US-Fotograf verfolgte die Debatte, die sein Plakat für den Life Ball in Österreich auslöste, während er in Los Angeles ein Musikvideo drehte. "Diese Dame, die die Bilder mit der Spraydose übermalte, sah so fröhlich aus", sagt er im KURIER-Gespräch in der Wiener Galerie Ostlicht. "Ich dachte: Wenigstens kann ich auf diese Art jemanden glücklich machen. Als dann aber Anzeigen kamen, fand ich das erschreckend."

Falscher Zorn

Das Bild des Transgender-Models Carmen Carrera, die einmal als Eva mit Penis, einmal mit Vagina zu sehen ist, ist für den Fotografen das falsche Ziel des Zorns: "Wenn wir heute Filme oder TV-Serien anschauen, was sehen wir da? Gewalt, im Gewand von Unterhaltung. Wenn ein Schneidbrenner ans Auge einer Frau gehalten wird (im Film "Hostel", Anm.), dann nennen wir das ,Folter-Porno‘. Das ist es, was unsere Kinder nicht sehen sollen. Aber nicht einen nackten Körper, okay?"

LaChapelle, bekannt für seine Fotos von Stars in hyper-künstlichen Kulissen, ist im Kulturpessimismus-Modus angelangt. "Wir leben im tiefsten verdammten Mittelalter, in dem der Körper als schmutzig und unrein galt", zetert er. Dabei gibt er zu, dass die Kampagne für den Life Ball in den USA gar nicht erst durchgeführt worden wäre. "Dort ist man noch tiefer im Mittelalter. Diese Horrorfilme, sie kommen ja aus Hollywood, wir verteilen ein Krebsgeschwür über die Welt!"

Zuflucht vor der Schlechtigkeit bietet, LaChapelles Wertekanon zufolge, die Renaissance. "Michelangelo hat den Körper befreit, für ihn war die Schönheit des Menschen ein Beweis dafür, dass Gott existiert", referiert er.

In seinen eigenen Bildern zitiert der Fotograf das Schönheitsideal der Renaissance immer wieder: Es blitzt aus den gewundenen Männerkörpern hervor, die in der Ostlicht-Schau etwa im großformatigen Werk "Deluge" ("Sintflut") zu sehen sind. Neben Michelangelo paraphrasiert der Künstler auch Botticellis "Geburt der Venus". Und aus einem der Blumenstillleben, die LaChapelle nach barockem Vorbild inszenierte, blitzt eine Eva-Darstellung von Dürer hervor.

Bilder der Ausstellung

Alle Inhalte anzeigen

Meister Michelangelo

"Ich habe beim Foto-Shooting kein Buch neben mir offen", sagt LaChapelle."Aber ich liebe diese Bilder seit meiner Kindheit, und ich habe sie so oft gesehen.Als ich das erste Mal im Louvre war, sah ich die Rückseite von Michelangelos Skulptur ,Sterbender Sklave‘ und erkannte sie aus hundert Metern Entfernung sofort."

LaChapelle schlägt ein Buch mit Fotos auf, die er 1984, mit 21 Jahren, schuf: Fast wie Marmorskulpturen wirken die Akte, die er damals in Schwarz-Weiß und mit vielen Nachbearbeitungen in der Dunkelkammer produzierte. Es ist ein Kontrast zu seinen späteren, berühmten Fotos, deren Sujets oft gar nicht nicht dem klassischen Schönheitsideal folgen: Pamela Anderson, die LaChapelle häufig fotografierte, und das transsexuelle Model Amanda Lepore zielten mit Mitteln der Chirurgie bewusst über Ebenmäßigkeit hinaus. Auch Übergewichtige, Bodybuilder oder Kleinwüchsige haben längst einen festen Platz in LaChapelles Bildkosmos.

"Ich habe einen sehr breiten Schönheitsbegriff, und ich finde Schönheit an vielen Orten", sagt der Fotograf dazu. Für seine neuesten Bilder hat er Tankstellen aus Alltagsmaterialien nachgebaut und in gleißendem Licht inszeniert – auf Hawaii, wo LaChapelle seit 2006 lebt. "Natur", sagt er "ist für mich der ultimative Luxus."

INFO: Ausstellung "David LaChapelle: "Once In The Garden": bis 14.9., Galerie Ostlicht, Absberggasse 27, 1100 Wien. www.ostlicht.at