Kultur

Das unbekannte Weltmuseum

Die meisten Leute glauben, da stehen nur Kopien“, sagt Lois Lammerhuber. „Aber es ist wirklich ein Weltmuseum.“ Der österreichische Fotograf und Verleger gerät ins Schwärmen, wenn er vom Hauptquartier der UNESCO auf der Pariser Place de Fontenoy spricht. Insgesamt 18 Besuche stattete er dem Gebäudekomplex ab, in dem mehr als 600 Kunstwerke aus aller Welt hängen oder stehen: Seit das Quartier 1958 eingeweiht wurde, ist eine stattliche Kunstsammlung herangewachsen, die „keiner je beauftragt hat“, wie Lammerhuber erzählt.

Klassiker der Moderne

Einige Glanzstücke – etwa eine Skulptur von Henry Moore oder ein riesiges Wandbild von Pablo Picasso – wurden wohl schon beim Bau des Gebäudes in Auftrag gegeben. Die eigentliche Sammlung aber entstand durch ständige Geschenke der Mitgliedsstaaten: Dänemark spendete eine riesige Aluminium-Weltkugel („Symbolic Globe“) von Erik Reitzel, heute das im Außenraum am deutlichsten sichtbare Kunstwerk des Geländes. Der Irak schenkte ein geschnitztes „Door of Peace“ für ein Besprechungszimmer. Die japanische Stadt Nagasaki spendete einen Engelskopf, der den Atombombenabwurf auf die Stadt 1945 leicht beschädigt überdauert hatte. Österreich spendete – bis jetzt – nichts.

Am Freitag übergaben Staatssekretär Reinhold Lopatka, Botschafterin Ursula Plassnik und Botschafter Harald Stranzl schließlich den Fotoband „Art for Peace“ feierlich an UNESCO-Chefin Irina Bokova. Jedes UNESCO-Mitgliedsland erhält neben zwei Ausgaben des Bandes sämtliche Bilddaten mit der Aufforderung, diese in der Kunsterziehung und in Ausstellungen einzusetzen: Denn obwohl das Buch nicht im Handel erhältlich ist, soll die Sammlung „symbolisch in den Besitz aller Mitgliedsstaaten übergehen“ und der Friedensmission der Organisation dienen. Mittelfristig sollen alle Bilder frei zum Download zur Verfügung gestellt werden.

Sehen lernen

Dass Lammerhuber die Werke nie nur abfotografierte, sondern aussagekräftige Details wählte und das räumliche Umfeld mit ins Bild brachte, verhindert da einerseits urheberrechtliche Komplikationen mit Künstlern und Nachlassverwaltern.

Im Kern ist Lammerhubers fotokünstlerische Interpretation aber eine Liebeserklärung an das Schauen an sich: Die Freude am Entdecken neuer Konstellationen von Formen und Räumen ist in seinen Bildern evident.

„Wichtig war mir, dass meine Kreativität nie größer werden sollte als jene der Leute, die ich interpretiere“, sagt Lammerhuber und zeigt auf ein Bild eines Spinnennetzes, das er in einer Skulptur des Bildhauers Arnaldo Pomodoro festhielt. „Das da“, sagt der Fotograf und zeigt auf die hauchdünnen Fäden, „das bin ich“.

Am 16. November 1945 unterzeichneten 20 Staaten das Gründungsdokument der „United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization“. Die Organisation sollte die „intellektuelle und moralische Solidarität der Menschheit“ fördern und so Kriege verhindern.

1958 bezog die Organisation ihr aktuelles Hauptquartier. Das Gebäude war von Marcel Breuer (USA), Pier Luigi Nervi (Italien) und Bernard Zehrfuss (Frankreich) geplant und der damaligen Architektur-Elite (u. a. Le Corbusier, Walter Gropius und Eero Saarinen) abgesegnet worden. Werke von Alexander Calder, Joan Miró oder Pablo Picasso gehörten zur „Grundausstattung“.

Lammerhubers Bilder zeigen neben Kunst auch das Ideengebäude der UNESCO: Die Räume erzählen von der Vorstellung, mit einem neuen Stil und mithilfe der (bereits arrivierten) Avantgarde zu einer friedlichen Welt zu gelangen. Der bürokratische Apparat dahinter wird in den Bildern ebenfalls deutlich.

Der Wert der Kunst selbst ist kaum bezifferbar: Schon ein zweiter Abguss der Giacometti-Skulptur „L’homme qui marche I“ (1960), die im Gebäude steht, brachte 2010 bei Sotheby’s 74 Mio. Euro ein.