Kultur

"Das Rote Wien": Sozialdemokratische Ruhmeshalle

Auch wenn die Schlacht erst stattfindet: Der Wahlkampf hat längst begonnen. Denn es kann kein Zufall sein, dass die einen die konkreten Pläne der Steuerreform just dann vorstellen, wenn die anderen auf dem Rathausplatz den Tag der Arbeit feiern – und dabei in Erinnerung rufen, vor genau 100 Jahren in Wien die absolute Mehrheit errungen zu haben.

Das Wien Museum erweist sich dabei als braver Gehilfe der Sozialdemokraten: Am 29. April wurde im Musa (gleich neben dem Rathaus) eine Ausstellung über „Das Rote Wien“ eröffnet, die am 1. Mai frei zugänglich war. Sie huldigt jener Epoche zwischen 1919 und dem Schicksalsjahr 1934, in der die Vision von einer besseren Welt mit mehr Wohlstand, Bildung und Gesundheit recht entschieden umgesetzt wurde.

Auf jene Zeit des „Neuen Wiens“ beruft sich die SPÖ gerne: In der Ausstellung entdeckt man u.a. ein reproduziertes Plakat mit dem Text „Wir haben das Rote Wien gebaut – unser nächstes Werk ist das Rote Österreich“ aus 1945. Daneben hängt ein Plakat aus 1949, eine Collage aus etlichen Gemeindebau-Fo-tos: „Das haben wir gebaut – wir wollen weiterbauen!“

Das Musa, bisher Ausstellungshalle für die städtische Sammlung zeitgenössischer Kunst und nun Ersatzquartier des Wien Museums, ist natürlich viel zu klein, um „Das Rote Wien“ vielschichtig analysieren zu können. Die Schau, kuratiert von Werner Michael Schwarz, Elke Wikidal und Georg Spitaler, bietet bloß einen Überblick. Sie hat, zitatenhaft klar von Thomas Hamann eingerichtet, die Anmutung einer Ruhmeshalle.

Vergnügungssteuer

Im Zentrum des Hauptraums steht die Bronzeplastik „Der letzte Mensch“ von Anton Hanak aus 1924, flankiert von einem Porträt Jakob Reumanns, der 1919 zum Bürgermeister gewählt wurde, und einem Plakat von Victor Th. Slama über den Bürgerschreck „Breitner Steuern“.

Hugo Breitner, der Finanzstadtrat, hatte nicht nur die Wohnbau-, sondern auch etliche Luxussteuern eingeführt – etwa auf Sekt, Pferde, Hunde, Haushaltshilfen und Vergnügungen. So gelang es, quasi flächendeckend rund 380 Wohnbauten, darunter riesige Anlagen, mit 63.000 Gemeindewohnungen zu errichten. Hinzu kamen viele kommunale Einrichtungen – vom Amalien- und dem Kongressbad über das Praterstadion und die Feuerhalle bis zu modellhaften Schulen und Kindergärten. Wie ein Fries läuft an den Wänden ein Band mit 90 SW-Fotos: Sie entstanden, um die Entwicklung zu dokumentieren, haben eine propagandistische Note – und eine emotionale Kühle.

Schlaglichtartig werden Wörter wie Gemeinschaft, Heim, Gesundheit, Sport, Hygiene abgehandelt; für die Schattenseiten – Gruppendruck, Kontrolle und eine Fürsorge, die auch Angst machte, – bleibt kaum Platz: Die kritische Auseinandersetzung wurde in den prächtigen Katalog ausgelagert.

Als Ergänzung zeigt die Wienbibliothek bis 25. Oktober im Rathaus eine Schau über den bereits erwähnten Slama. Das Kabinett ist leider ungeeignet für Plakate, aber es wartet, da Slama mitunter auch für den Gegner arbeitete, mit einer amüsanten Gegenüberstellung auf. Das Sujet der Christlich-Sozialen, auf dem die Verlegung der Stadt Wien „ins Schlarafffenland“ kritisiert wird, hätte durchaus in „Das Rote Wien(bis 19.1.2020) integriert werden können.