"Das Büro": Über den Alltag eines Lohnsklaven
Von Peter Pisa
Soll nur ja niemand jammern, seine Arbeit sei sinnlos! Herr Marteen Koning aus Amsterdam muss ermitteln, wo zuletzt in den Niederlanden Wichtelmännchen gesichtet wurden. Auch hat er von seinem Chef den geilen Auftrag bekommen, er möge überprüfen, ob in dem mittelalterlichen Dorf Swalmen noch immer am Tag des Heiligen Antonius Nüsse auf den Misthaufen geworfen werden. Und die kaputte Frage, ob Steine noch Spuren der religiösen Auffassungen unserer Urahnen in sich tragen ... mit der sollte er sich ebenfalls beschäftigen. Koning arbeitet als „wissenschaftlicher Beamter“ im Institut für Volkskunde.
Rosa Teekanne
Es ist unglaublich, dass man „Das Büro“ liest, wenn man vom Büro heimkommt.
Dass man diesen Alltagsroman sogar mit größtem Vergnügen liest.
Aber die Typen, die kennt doch jeder. Den Ad Muller, der angeblich „Rachenpusteln“ hat und fast immer im Krankenstand ist. Den Bart Asjes, der, wenn man ihm was anschafft, so lange darüber diskutiert, bis man die Arbeit lieber selbst erledigt ...
Autor Johannes Jacobus Voskuil (1926–2008) war selbst Beamter des staatlichen Volkskunde-Büros. Ein wenig bedeutender Wichtelforscher und Lohnsklave wie seine Figur Koning.
Die Geschichte, die 1957 beginnt und sich über 30 Dienstjahre erstreckt, löste in den Niederlanden eine Medienhype aus, den später nur Harry Potter schaffte.
Dem Epos aus sieben dicken Bänden – ins Deutsche übersetzt wurde vorläufig nur das erste Buch – folgten ein Theaterstück, ein Hörspiel, eine TV-Serie ... und die echten Amsterdamer Volkskunde-Mitarbeiter veranstalteten Führungen mit Namensschildern, auf denen ihr Name sowie jener des Roman-Egos standen.
„Das Büro“ hat was.
Es lebt und lebt davon, dass man erfährt: Viele tragen ein Binkerl, das gleich dem eigenen ausschaut. Insofern ist es Trost. Hoffnungslos aber auch. Den Sonnenplatz wird es für den kleinen Büroangestellten nie geben. Und daheim wartet ... reden wir lieber nicht darüber.
Als Voskuil sehr krank war, bat er um Sterbehilfe. Der vereinbarte Todestag war der 1. Mai, Tag der Arbeit.
KURIER-Wertung: ***** von *****
Willkommen auf Skios. Da kann man noch so grantig sein und sauer auf die Welt: Spätestens nach 30 Seiten, wenn man am Flughafen der griechischen Insel steht und Menschenkoffer und rote Lederkoffer verwechselt werden, wird man sich amüsieren. Der in England gefeierte Theater- und Romanautor Michael Frayn, 79, kann das.
Die versnobte akademische Welt versammelt sich und wartet auf einen berühmten Festredner. Eine Blondine steht im Flughafengebäude, ein Schildchen mit dem Namen des angesehenen Langeweilers in die Höh’ haltend. Da denkt sich ein britischer Hallodri, der ebenfalls gerade gelandet ist: Die sieht gut aus, das Ganze sieht gut aus, Abwechslung garantiert – und er schlüpft in die Rolle des Professors. Schwafeln kann er genauso.
Man spürt es auf jeder Seite: Michael Frayn hatte selbst großen Spaß an der gelungenen Hochstapelei.
KURIER-Wertung: **** von *****
Wodka und Brot. Man kann auch selber kündigen, damit das Leben nicht mehr Tonnen wiegt, sondern nur so viel wie ein Koffer mit Unterwäsche, Leiberl und Jeans. Gideon war Strafverteidiger. Jetzt umarmt der 39-Jährige die Ehefrau und den kleinen Sohn, „sein Kuss erschrak vor der Zukunft“ (was für ein großartiger Satz!) ... er will Fischer werden.
Und die Frau, eine erfolgreiche Steuerberaterin? Verzweifelt nicht. Übernimmt das winzige Lebensmittelgeschäft des Vaters, verkauft Eier und Kekse und zieht mit ihrem Fünfjährigen in ein Dorf am Rand von Tel Aviv.
Um sie kümmert sich die israelische Schriftstellerin Mira Magén in starken Bildern; und zeigt, wie schwierig Freiheit ist; und zeigt, wie schön die Sterne sind. Aber niemals belehrt sie uns. Und glaube niemand, alles ist gut am Ende! (Was ist denn gut?) Es ist ein trauriges Buch. Weil es lebt.
KURIER-Wertung: ***** von *****