Kultur

Cordobart

Zweimal im Jahr zum Zahnarzt, einmal zum Songcontest, so bleibt man g’sund.“ Sagte der ORF-Kommentator Andi Knoll zur Begrüßung. „Ich glaube, heute Abend bohrt er nicht.“ Und weiter: „Ein Sieg für Österreicher, ist das möglich? Wahrscheinlich nicht.“

Dem sympathischen, eloquenten und witzigen Knoll sei unterstellt: Er wollte es nicht verschreien. Und vielleicht eine zweideutige Pointe ins Programm schmuggeln.

Sein Sender – und das ist jetzt ein Sprung ans Ende der Geschichte – leistete sich eine historische Blamage.

Da gewinnt der ORF zum ersten Mal seit 48 Jahren den Eurovisions Song Contest (ja, der ORF – der Contest ist kein Wettbewerb von Nationen, sondern von TV-Anstalten). Und dann steigt er mit Ende der Übertragung einfach aus. Schluss. Ende. Auf ORF1 folgte ein öder Film, auf ORF2 ein Inspector Barnaby. Während die ARD mit einer Riesen-Show weiter auf dem Thema Song Contest drauf blieb.

Jede professionelle Redaktion dieses Landes hatte seit Tagen Vorbereitungen getroffen, für den immer wahrscheinlicher werdenden Fall, dass Conchita Wurst gewinnen würde. Kurz vor Beginn der Show lag sie bei allen relevanten Wettbüros auf Platz eins oder zwei. Nur der ORF hatte keinen Plan B, nicht einmal einen Plan A. Keine Interviews, keine Live-Schaltung, keine Studio-Diskussion mit Experten, nicht einmal die Billigvariante einer Show „Die besten Contest-Hits“. Einfach: nichts. Offen gesagt: Das Testbild wäre ehrlicher gewesen, plus einem Insert: „Uns ist’s wurst. Gehen Sie schlafen.“
So schaffte es der ORF, aus seinem größten Sieg seine größte Peinlichkeit zu machen. Ernsthaft: Das muss man erst einmal schaffen.

A propos Peinlichkeit: Strammrechte hetzten auch nach Wursts Sieg in den sozialen Medien weiter gegen die Sängerin und wiederholten damit den Alaba-Fehler. Bei uns wird man eben aus seinen Fehlern dümmer.

Das Protokoll eines bemerkenswerten Abends.

Die Bühnenshow zum Einstieg sieht aus, als hätte Andre Heller etwas Schlechtes gegessen und schwer geträumt oder eine Raumschiffkatastrophe, verfilmt von der Familie Putz oder die Schlussfeier der EM im Naturbahnrodeln, nur teurer, oder alles auf einmal.

Alle Inhalte anzeigen
Zwei sediert wirkende Moderatoren und eine unterernährte Moderatorin, die so aussehen, als könnten sie bei „Wetten, dass…?“ alle Außenwetten, die es wegen der Einstellung der Show nie geben wird, auf einmal moderieren, begrüßen die Zuschauer und reden sehr, sehr viel.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 1, Ukraine. Eine Frau singt im Duett mit einem offenbar erotisch übermotivierten Hamsterrad und schaut dabei so drein, als wolle sie mit dem Hamsterrad viele kleine Hamsterräder zeugen. Das Hamsterrad wirkt dabei sehr überzeugend.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 2, Weißrussland. Ein Mann auf der Flucht vor seinem Friseur singt ein Lied namens „Käsekuchen“, das genau so klingt.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 3, Aserbaidschan. Eine Frau im roten Nachthemd singt etwas, das klingt und aussieht, wie die aserbaidschanische Version von „Phantom der Oper“. Eine andere Frau in einem anderen roten Nachthemd versucht derweil, mit Hilfe eines Trapezes Selbstmord zu begehen, scheitert aber.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 4, Island. Sechs offenbar aus dem Kinderfernsehen und/oder dem Irrenhaus entsprungene Herren singen ein sehr, sehr lustiges und sympathisches Lied namens „Pöllapönk“, worauf man als höflicher Mensch mit „Gesundheit“ antwortet. Im Chor singt übrigens ein Nationalratsabgeordneter mit, was hoffentlich nicht Schule machen wird.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 5, Norwegen. Ein flächig tätowierter ehemaliger Türsteher eines Black-Metal-Clubs singt ein Lied, das nach allem klingt, nur nicht nach „Black“ oder „Metal“ oder „Türsteher“, sondern nach einem Requiem für seinen Lieblingshamster (vielleicht nach dem aus dem Rad von Startnummer 1). Eine bizarre, aber irgendwie schöne Nummer.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 6, Rumänien. Ein aus Frisur bestehender Herr und eine aus Busen bestehende Dame haben sichtlich Bauchweh und singen darüber.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 7, Armenien. Das ist der Wurst-feindliche Apotheker. Er hat aber keine Tabletten für Startnummer 6 mitgebracht, sondern ein auf merkwürdige Weise großartiges, sich selbst verschlingendes Lied. Leider singt er fürchterlich falsch – und informiert nicht über mögliche Nebenwirkungen.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 8, Montenegro. Ein Mann mit komischen Ohren singt auf rührende Weise ein Lied, das den Schluss nahelegt, dass er sich im Jahr 1963 wähnt. Sein Problem: Der Apotheker von vorhin hat ihn mit dem Falschsingvirus angesteckt. Eine Rollschuhläuferin versucht verzweifelt, von diesem Faktum abzulenken.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 9, Polen. Dieser Beitrag sorgte bereits vorab für kollektives Entsetzen, untertrifft die Erwartungen aber mühelos. Damen, die Reste von ländlicher Tracht anhaben, stellen unter Verwendung von 20 Litern Plastikbusen einen Softporno im bäuerlichen Milieu nach und erledigen dabei entfernt gesangsähnliche Verrichtungen. Eher keine Nationalratsabgeordneten.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 10, Griechenland. Wären beinahe wegen der Finanzkrise eingespart (kein Witz!) und an einen internationalen Investmentfond verkauft worden. Das Lied ist sehr ansteckender Balkan-Disco. Im Hintergrund trainiert der griechische Staatsmeister im Trampolinspringen für die WM – als Grieche muss man jede Gelegenheit für Synergieeffekte nützen.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 11,Österreich. Von der ersten Zeile an gibt es hochfidelen Jubel aus dem Publikum. Conchita Wurst singt makellos und steht im Unterschied zu anderen allein auf der Bühne, nur begleitet von einer sehr formschönen Nebelschwade. Weit und breit kein Nationalratsabgeordneter. Dabei wäre das vielleicht eine Idee: Conchita Wurst mit Johann Gudenus im Backgroundchor.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 12,Deutschland. Ein nettes, geschneuztes und gekampeltes Lied, klingt wie Volksmusik in Zeitlupe. Zu nett, um wirklich gut zu sein.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 13, Schweden. Die Favoritin. Das kennt man doch? Wovon ist das abgeschrieben? Klingt wie ein Hit, den jeder kennt, der aber niemandem einfällt, weil es ihn vielleicht noch gar nicht gab. Aber sind diese spaßbefreiten Heulbojen-Oje-da-vorne-ist-ein-Eisberg-Balladen nicht aus der Mode? Großartiger Kommentar von Andi Knoll: „Könnte optisch auch Spitzenkandidatin von den Neos oder Team Stronach sein.“ Überall Abgeordnete!
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 14,Frankreich. Ein drastisch verfönter Sänger kopiert mit sichtlich viel Freude den genialen belgischen Spinner Stromae und singt eine Hymne auf den Schnurrbart. Damit qualifiziert er sich unter anderen für den Trainerjob bei Admira Wacker, für die Pacht einer Tankstelle an der Triester Straße oder ein Nationalratsmandat der Grünen, Wahlkreis Mahü Fuzo.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 15,Russland. Blondrussische Zwillingsmädchen teilen sich eine Frisur und eine Wippschaukel und wirken dabei sauber, frisch gewaschen und garantiert heterosexuell. Dazu ein Lied, so natürlich und ungekünstelt wie ein Foto von Putin mit nacktem Oberkörper und frisch erwürgtem Hecht.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 16,Italien. Substandard-Disco-Rock, ausgeführt von einer im Wesentlichen mit einem Lorbeerkranz bekleideten Dame mit aufgeschminkter Bindehautentzündung. Lady Gaga für noch Ärmere.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 17, Slowenien. War Slowenien nicht schon zwei oder drei Mal dran? Nein? Eine blaue, aber in keinem Nationalrat sitzende Frau trägt eine Querflöte spazieren und singt ein nicht unnettes, aber letztlich zu kurzatmiges Lied. Andi Knoll: „Maggie Entenfellner spielt Querflöte“. Auch sein Urteil „Maturaballkleid“ trifft die Sache sehr genau.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 18, Finnland. Klingt wie Coldplay nach einem Kerosin-Einlauf.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 19, Spanien. Sieht aus wie „Venedig im Regen“. Klingt auch so. Nur, dass Thomas Forstner eine sehr nasse Frau ist und aus Murcia stammt.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 20, Schweiz. Der Sänger ist im Zweitberuf Rechtsanwalt und sollte vielleicht erwägen, künftig im Zweitberuf Sänger zu sein. Falls er Erfolg hat, könnten wir im nächsten Jahr Manfred Ainedter schicken.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 21, Ungarn. Entscheidend für dieses traurige, aber gleichzeitig fröhliche Lied ist das Klavier, nur dass es hier nicht gespielt, sondern als Turngerät verwendet wird. Wenn das Schule macht, erleben wir im nächsten Jahr vielleicht Bassgitarrenwurf oder Schlagzeugsprung.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 22, Malta. Die haben eine sehr schöne Bassgitarre, werfen sie aber nicht, sogar das Klavier wird gespielt und nicht beturnt. Das Lied ist in der Fußgängerzone von La Valetta sicher ein Hit und füllt die Hüte.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 23, Dänemark. Klingt und sieht aus wie Aqua-Aerobic in einem Ferienclub. Nur ohne Wasser. Vielleicht sollten sie sich welches von den Spaniern ausborgen.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 24, Niederlande. Die Bühne will nicht mitmachen und streikt. Das ist dumm von ihr, denn das Lied ist stark. Eine Country-Ballade im Stil von Nancy Sinatra & Lee Hazlewood. Einziges Problem: Die Melodie kündigt ständig einen fantastischen Refrain an, der aber nie kommt.
Startnummer 25, San Marino. Andi Knoll: „Die einzige Sängerin, die San Marino hat.“ Übrigens auch die einzige Nationalratsabgeordnete des Landes. Das Lied ist tatsächlich von Ralph Siegel, heute eher bekannt als Vater einer Dschungelcamp-Kandidatin, denn als Songschreiber. Wäre ein guter Bond-Song – für einen Bond im Jahr 1967, der in München spielt und von einer atomar verstrahlten Weißwurst handelt, welche die Weltherrschaft anstrebt.
Alle Inhalte anzeigen
Startnummer 26, England. Eine in goldenes Schokoladepapier gefüllte Dame singt etwas Fades, der gesamte Eurovisions-Raum eilt aufs Klo, der Wasserverbrauch steigt drastisch, wie sonst nur bei Spaniens Beitrag.
Pause. Jetzt wird die Show doch zu „Wetten, dass…?“ – Menschen wetten, dass sie „Ode an die Freude“ von Beethoven `n Schiller auf Leitern balancierend singen können. Sie können. Nächstes Jahr dann bitte mit Baggern.

Die Abstimmung beginnt, oder wie man auf Lässigdeutsch sagt: Se Voting. Aserbaidschan gibt Österreich einen Punkt und 12 an Russland. Das Ergebnis ist ein Buh-Orkan. Dafür gibt es bereits bei der zweiten Punktevergabe douze points von Griechenland.

Die Sprecherin der russischen Jury wird gnadenlos ausgebuht, vergibt fünf Punkte für Wurst, sieben für die Ukraine (!) und zwölf für Weißrussland.

Zehn Punkte von Frankreich – die haben Sinn für Travestie. Österreich geht erstmals in Führung. Und sofort danach zwölf Punkte aus England. Und zehn aus Island. Und zwölf aus Schweden. Und nur sieben von Helene Fischer aus Deutschland – was moderiert die eigentlich nicht?

Wurst wird interviewt und weint.

Zwölf Punkte aus Israel. Und aus Portugal. Und zehn aus Ungarn. Und zwölf aus Irland. Und zwölf aus Finnland. Und zehn aus Litauen.
Kathi Bellowitsch vergibt, mit Bart, aus Österreich zwölf Punkte an den Wurst-Hasser aus Armenien.

Und zwölf für Wurst aus Spanien (ebenso wie aus Portugal). Und zwölf aus Belgien. Und zwölf aus Italien.

Die Ukraine gibt Russland vier, Österreich acht, Armenien zehn und Schweden zwölf.

Und damit ist es klar: Österreich kann nicht mehr überholt werden. Andi Knoll bringt es auf den Punkt: „Jetzt hot uns die den Schas gewonnen.“

Und zwölf Punkte aus der Schweiz für „die Königin von Österreich“. Und zehn aus Georgien. Und zwölf aus Slowenien. Und aus.
Wir. Sind. Naja, Sie wissen schon.

Zeit Online spricht es als erste aus: „Europa ist Wurst.“
FM4 facebookt: „Cordobart.“ Und bekommt dafür Tausende Likes.
Der ORF sagt „Gute Nacht“ und sendet das Testbild. Fast.