Commissario Brunetti reicht ein kurzer Blick in den Schlachthof
Von Peter Pisa
Die Hand von Guido Brunetti, Commissario di Polizia der Stadt Venedig, zittert. Einfach so. „Du bist ein alter Knacker, Guido“, murmelt er vor sich hin. Er leidet am Leben, an den Lügen und Täuschungen, mehr als in den vorangegangenen 20 Romanen.
Ist es zu früh für seinen Abgang aus der Kriminalgeschichte? Ja.
Eben erschien im Schweizer Diogenes Verlag Fall 21, „Tierische Profite“ – und zwar mit 200.000 Exemplaren Startauflage. Man hat die in Venedig lebende Amerikanerin Donna Leon noch immer nicht satt.
„Tierische Profite“ ist, wie alle ihre Krimis, aktuell, gesellschaftskritisch, mafiös. Lustig ging’s ja nie zu. Aber diesmal ist das Gefühl von Traurigkeit besonders stark zu spüren.
Was dem Roman guttut.
Letzter Kaffee
Brunetti steht oft am Fenster, redet nichts, schaut nur.
An seinem Schmerz ändert nichts, dass seine Paola trotz ihrer Arbeit an der Universität daheim zu Mittag drei Gänge auf den Tisch stellt, Tagliatelle mit Jakobsmuscheln, Tintenfisch mit Erbsen bzw. gebackenen Fenchel und crostata di fragole.
Und der echte Canaletto in der Küche ist auch kein Trost mehr.
Es liegt an Italien generell, an den immer teurer werdenden Restaurants in Venedig im Speziellen. Und an der Geschichte eines alten Mannes, der nicht mehr in der Lage war, seine an Alzheimer leidende Frau zu pflegen, aber mit den nach Abzug der Miete verbleibenden 250 Euro konnte er keine Hilfe engagieren ... also brachte er zuerst sie um, dann sich selbst.
Vorher hatten die beiden ein letztes Mal Kaffee miteinander getrunken.
Und es liegt am Hauptthema, das ebenfalls schwer im Magen liegt: Im Kanal treibt ein erstochener Mann. Er sieht aus, wie man sich einen Verbrecher vorstellt. Massig. Kein Hals. Stiernacken.
Aber er ist ein Guter. Ein Tierarzt aus Mestre, der im Schlachthof gearbeitet hat. Der dafür sorgen sollte, dass nur das Fleisch gesunder Tiere auf den Lebensmittelmarkt kommt.
„Tierische Profite“ ist trotz der Grausamkeiten und der angeprangerten Gier ein zärtliches Buch geworden. Mit einem Begräbnis, bei dem der Pfarrer Katzen streichelt und Hundeohren krault und ein anderer Trauergast, ein Papagei, „Ciao“ ruft, nahm sich Donna Leon sogar vor, Trübsal aus den Herzen zu blasen.
KURIER-Wertung: **** von *****
Info: Donna Leon: „Tierische Profite“ Übersetzt von Werner Schmitz. Diogenes Verlag. 328 Seiten. 23,60 Euro.