Kultur

"Clavigo": Nasenbohren im Heißluftballon

Zu Beginn kommen die Darsteller als Clowns verkleidet auf die Bühne, benehmen sich so, wie sich Clowns eben benehmen müssen und wie es rätselhafterweise als "lustig" gilt, und bohren schließlich alle in ihren roten Nasen. Schließlich findet der Clown, der Clavigo darstellt, tief in seinem Nasenloch etwas Interessantes, hält dieses Interessante an ein Mikrofon, worauf der Nasenfund zu sprechen beginnt.

Ein bemerkenswertes Bild: Der Künstler als dummer August und Nasenrammelproduzent? Wollte Regisseur Stephan Kimmig damit die eigene Inszenierung beschreiben? Da würde er dann doch ein wenig zu hart über sich urteilen.

In "Clavigo" geht es um die Frage, ob dem Künstler als "besonderen" Menschen auch eine besondere Moral zusteht. Darf er zum Beispiel einer Frau die Ehe versprechen, sie als Muse ausnützen und sie dann, wenn sie ihm langweilig geworden ist, einfach ablegen? Goethe, stets tief von sich und seiner eigenen Bedeutung beeindruckt, meinte damit natürlich sich selbst, seine Position als Künstler und Karrierist und seine unübersichtlichen Verhältnisse zu Frauen. Goethe war ja in erster Linie ins Verliebtsein verliebt, weil er das Gefühl so inspirierend fand.

Das Stück in die Gegenwart zu holen (gerade wir haben eine merkwürdige Beziehung zu Künstlern, sie sind entweder entrückte Stars oder Nichtsnutze) liegt nahe. Stephan Kimmig hat mit seinen Darstellern vom Deutschen Theater Berlin nach Ausdrucksformen für den Stoff gesucht und viel zu viel gefunden. Geboten wird eine wilde Mischung aus Performance, Spoken-word-Einlagen, durch Loops verfremdetem Sprechgesang, Pantomime, Tanz, Film und, weil es sich nicht ganz vermeiden ließ, Resten von Goethe.

Das Ganze sieht dann halt leider aus wie eine Seminararbeit an der Schauspielschule oder wie der Abschlussabend der Selbsthilfegruppe beziehungsgeschädigter Künstler im Waldviertel – und nicht wie ein Theaterstück.

Manches ist dennoch packend. Etwa die ganz zart und schüchtern vorgetragene, Jean Ziegler zitierende Anklage zum Thema Welt-Ernährung. Oder die gefilmte Szene, in der die lebensmüde Marie vor dem Spiegel sitzt, mit Lippenstift das Wort "tot" auf diesen schreibt und einen Pfeil auf ihr eigenes Gesicht dazumalt (man muss übrigens korrekt sagen DER lebensmüde Marie – die Geschlechter sind in dieser Inszenierung vertauscht; fragen Sie nicht ...) Oder das wunderschöne Bild des Künstlerpaares, das sterbend mit dem Heißluftballon in den Himmel entschwebt.

Heiße Luft

Der Heißluftballon ist im Bühnenbild ständig dominant: Schon wieder ein Kommentar von Kimmig zur eigenen Kunstproduktion?

Großartig ist die Leistung des Schauspielerteams, das all die kuriosen Einfälle zu beglaubigen hat: Susanne Wolff (DIE Clavigo), Marcel Kohler (DER Marie), Kathleen Morgeneyer (DER Beaumarchais), Franziska Machens (DIE Buenco) und Moritz Grove (nein, nicht DIE, sondern tatsächlich der Carlos) geben alles. Am Ende reichen die Reaktionen des Premierenpublikums im Landestheater von spitzen Schreien des Jubels über Buhs bis zu stiller Flucht.

KURIER-Wertung: