Kultur

Chris Adrian erzählt Shakespeare neu

Der amerikanische Arzt Chris Adrian ist für seine Fantasien in "Die große Nacht"in hohem Maße zu bewundern.

Man darf nur nicht den Fehler machen, alle 450 Seiten zu lesen.

Geschätzte 150 gehören überblättert. Weg damit. Ohne Pardon.

Dann bleibt inmitten von San Francisco in einem Park die Feenwelt übrig, und es machen Elfen das Theater, manche klein wie Fingerhüte. Manche groß wie Straßenlaternen. Haut wie Birkenrinde. Vögel im Haar. Eng aufgewickelte Fäden als Körper. Gefiedertes Pony.

Mit Toilette aus Jade und Pilzkathe­drale.

Und mit Puck, dem Hofnarren Oberons. Wie Puck aussieht, hängt davon ab, was man gerade empfindet. In diesem Roman sieht er ungeheuerlich aus – wie die schlimmsten Ängste und Sorgen.

Hässlichster Ort

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Ein neu erzählter Shakespeare’scher Sommernachtstraum wird das, aber ein trauriger.

Denn das Menschenkind, das Oberon gestohlen und seiner Frau Titania geschenkt hat, ist gestorben. Leukämie. Das Königspaar war mit dem Buben am hässlichsten Ort der Welt, in einem Spital.

"Scheiß auf die Triglyceride", hatte Oberon die Krankenschwestern angeschrien, "der Junge hat Hunger!"

Da kennt sich Chris Adrian besonders gut aus. Er ist Krebsarzt für Kinder. An dieser Stelle arbeitet er – gewissermaßen fabelhaft – das Leid ab.

Der 42-Jährige widerspricht gar nicht, wenn man ihn als "traumatisiert" bezeichnet.

Hier fließt die vertraute Welt in die magische, und leider hat’s der Amerikaner damit nicht genug sein lassen.

Während Titania vor Schmerz vergeht und der von ihr verärgerte Oberon als weißer Stier in die Stadt zu den Frauen flüchtet, fei ern die Elfen ihr nächtliches Fest –, aber aus aktuellem Anlass halt ermattet, schlurfend, weinend.

Jetzt passiert das Unglück für die Leser: Puck gebärdet sich ohne "Chef" wildest, töten will er, und genau zu diesem Zeitpunkt sind auch Menschen im Park.

Obdachlose, die über den asozialen Bürgermeister schimpfen und ein Musical einstudieren.

Vor allem aber drei junge Leute, die sich unabhängig voneinander auf dem Weg zu einer Party verirrt haben.

Die leiden ebenfalls an gebrochenen Herzen!

Verlassen von der Ehefrau der Freund gestorben ... das braucht man nicht. Titanias Unglück reicht. Kein Wunder, dass der Puck diese Menschen jagt.

Chris Adrian ist ein ganz ungewöhnlicher Zauberer. Er hat es sich verdient, dass wir großzügig darüber hinwegblättern.

KURIER-Wertung: **** von *****

Harry Rowohlt – "Ich, Kater Robinson"

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Rascheldiknisterdiplopp. Harry Rowohlt hat sich ausgetobt. Tsutsidutsidö. "Ich, Kater Robinson" (Hanser, 15,40 Euro) ist aber sein einziges Kinderbuch geblieben – wobei 1988, als es erstmals erschien und zum "schönsten Buch" gewählt wurde, einige Eltern entsetzt waren:

Dem Kater wird von einem Würstelverkäufer ein Stück Schwanz abgehackt.

Fürchtet euch nicht, der Schwanz wird verbunden, und zwar von – Prostituierten. Muss man den Kleinen ja bei dieser Gelegenheit nicht unbedingt erklären, was die netten Frauen sonst so machen.

Jedenfalls ist die Geschichte 24 Jahre danach neuerlich in den Buchhandlungen; wieder mit den Illustrationen von Peter Schössow, der inzwischen zu einem der großen deutschen Bilderbuchkünstler geworden ist.

Die Geschichte ist keine überdrehte Konstruktion. Sie ist die Suche vom "Ich" (= Kater Robinson) nach dem Du (= in diesem Fall Katze Sirikit). Robinson wird einem kleinen Mädchen geschenkt und muss Puppe spielen. Er flüchtet, eine Kröte pinkelt ihm ins Aug, eine Ratte kämpft mit ihm ... Nichts Besonderes also – aber dieser versteckte Aufruf zum Aufbegehren und Glücksuchen in Kombination mit der Bilderpracht beschwingt das Leben.

KURIER-Wertung: **** von *****