Kultur

Cecilia Bartoli: Was Oper heute und morgen braucht

Sie ist, was ihre CD-Verkäufe betrifft, ihre Bühnenpräsenz, ihre einzigartige Kombination aus Gesang und Darstellung, seit vielen Jahren d e r Opernstar. Sie ist, als künstlerischer Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele, besonders klug bei der Zusammenstellung faszinierender Programme. Und auch als reflektierende Gesprächspartnerin ist sie immer wieder ein Gewinn. In Paris präsentierte sie gemeinsam mit Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler ihr diesjähriges Festival (18. – 21. Mai). Und sprach im KURIER-Interview auch über die Zukunft der Oper und die #MeToo-Debatte.

KURIER: Sie sind seit sieben Jahren Chefin der Salzburger Festspiele Pfingsten und dort alljährlich auch Protagonistin in der großen Opernproduktion. Das ist mittlerweile ungewöhnlich, weil zumeist Manager und nicht Künstler solche Führungsfunktionen übernehmen. Wie empfinden Sie diese Doppelfunktion?

Cecilia Bartoli: Für mich bedeutet diese Doppelfunktion auch doppelte Verantwortung und einen sehr großen Aufwand. Aber die Möglichkeiten sind fantastisch: Wir können jedes Jahr ein neues Thema konzipieren, heuer etwa die Querverbindungen zwischen Rossini, Offenbach und Wagner herstellen. Und wir können Künstler einladen, die diesen Gedanken eines großen Bogens mittragen. Aber grundsätzlich ist meine Position nicht so unterschiedlich wie etwa die von Christian Thielemann bei den Osterfestspielen. Ich singe halt statt zu dirigieren.

In diesem Jahr steht Rossinis „L’italiana in Algeri“ im Zentrum, Sie singen erstmals die Partie der Isabella. In diesem Werk geht um einen Mann, der seine Frau gegen eine jüngere tauschen will. Männliche Macht und der Umgang mit Frauen – ein sehr aktuelles Thema.

Absolut. Es gibt definitiv eine Verbindung zwischen #MeToo und unserem Thema bei den Pfingstfestspielen. „L’italiana in Algeri“ ist ein Stück über Wünsche und Begehren. Was ist das Begehren eines alten Mannes wie Mustafà? Warum hat er genug von seiner Frau und will sie für eine jüngere verlassen? Natürlich bringt uns das auch zu Weinstein und zu Übergriffen auf jüngere Schauspielerinnen. Wobei Rossini sagt: Nicht alle neuen Spiele sind schön. Und nicht alle schönen Spiele sind neu.

Die Debatte hat durch James Levine auch die Opernszene erreicht. Wie wichtig ist diese Diskussion? Und welche Erfahrungen haben Sie selbst gemacht?

Die Debatte ist sehr wichtig. Und sie hat zwei Seiten: Jede Form von Gewalt ist nie, nie erlaubt! Das ist für mich völlig inakzeptabel. Aber die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte von Liebe von Begehren. Das darf man auch nicht vergessen. Ich selbst habe als junge Sängerin meine Erfahrungen beim Vorsingen nur im Theater gemacht, nie in einer Hotelsuite. Das muss auch die heutige junge Generation wissen: Es gibt klar definierte Orte für die Arbeit. Das muss man ganz klar trennen, streng Grenzen ziehen.

Sie haben selbst schon vor 20 Jahren mit Levine an der MET gearbeitet. Da war die Auslastung kein Thema, während es heute große Probleme zu geben scheint. Was läuft falsch?

Ich habe dort „Cenerentola“ gesungen, dann „Così“ und „Figaro“, mit Renée Fleming und Bryn Terfel. Zu dieser Zeit waren alle Vorstellungen ausverkauft. Auch die Zusammenarbeit mit Levine war wunderbar. Ich glaube, dass man heute, was das Publikum betrifft, mehr in die neue Generation investieren muss. Man muss einen Schlüssel für neue Interpretationen finden und die Inszenierungen renovieren.

Wie gesellschaftspolitisch können oder müssen Opernproduktionen heute sein?

Das hängt natürlich vom Werk ab und von der Musik. Mir ist bei Inszenierungen auch der Humor ganz wichtig. Eine Opernproduktion sollte im Idealfall tiefgründige Themen mit Humor behandeln, es kann auch satirisch werden. Aber es muss unbedingt intelligent gemacht sein. Grundsätzlich sollte Oper immer zeitgemäß sein. Mit Respekt gegenüber dem Komponisten.

Sie haben im vergangenen Jahr als Händels Ariodante triumphiert – im Conchita-Look mit Bart. Kann man so neues Publikum ansprechen?

Ich hoffe. Aber das mit Conchita war reiner Zufall. Da sind wir mit Regisseur Christof Loy erst während der Proben draufgekommen. Ariodante verschwindet ja lange im Wald, kommt dann zurück, die Haare und der Bart sind gewachsen – und plötzlich war da der Conchita-Look. Ein jüngeres Publikum kann man jedenfalls nur mit neuen Interpretationen finden. Aber ich habe auch, als wir im Jahr davor „West Side Story“ gemacht haben, gesehen, dass da das Publikum viel jünger war als das typische Opernpublikum. Ich glaube jedenfalls fest an die Zukunft der Oper. Monteverdi wird auch immer noch gespielt. Aber man muss in die Pädagogik investieren, in die Ausbildung an den Schulen. Junge Menschen verdienen es, ins Theater, in die Oper zu gehen. Und das werden sie nicht von einem Tag auf den anderen tun, wenn sie nicht von den Eltern und von der Schule herangeführt werden.