Kultur

Campino-Interview: „Ein Verbot von Songs trägt zum Kult bei“

Den Auftritt auf der Berliner Waldbühne am Freitag mussten Die Toten Hosen absagen. Sänger hatte einen Hörsturz erlitten. Der Auftritt beim heurigen Nova Rock am 14. Juni, dem Eröffnungstag des Festivals, war bei Redaktionsschluss laut Angaben des Veranstalters nicht gefährdet. Kurz vor seiner Erkrankung sprach Campino mit dem KURIER über das jüngste Tour-Abenteuer der Toten Hosen.

KURIER: Sie sind gerade von Ihrer ersten China-Tournee zurückgekommen. Wie war das?

Es war ein Riesenabenteuer und hat uns sehr viel Spaß gemacht. Das Land öffnet sich gerade und übernimmt westliche Werte und Philosophien. Auch bautechnisch explodiert es dort förmlich. Wenn man in Shanghai herumläuft, hat man vor lauter technischem Fortschritt das Gefühl, auf dem Mars zu sein. Auf der anderen Seite gibt es diesen leicht verschärften Ruf nach Rückkehr zur Tradition und der Abkehr von westlicher Dekadenz. Die Fußballer der chinesischen Liga müssen sich zum Beispiel Hemden mit langen Ärmeln anziehen, wenn sie Tätowierungen haben. Aber im Grunde waren die Chinesen unglaublich lieb, und man hat die Polizeimacht viel weniger gespürt, als ich es von vielen anderen Ländern der Erde kenne.

Wo haben Sie es stark gespürt?

Brutal war es in Venezuela und Guatemala, aber auch in Tadschikistan und in Usbekistan. Teilweise gibt es diese Art von Gewalt auch in Brasilien, und in Mexiko muss man ebenfalls sehr aufpassen. Südamerika ist eine ganz andere Nummer als China, wo keiner von uns je ein Gefühl der Unsicherheit verspürt hat. In Beijing kannst du nachts um vier Uhr durch die Gassen gehen und es wird dir nichts passieren. Die Angst, man könnte überfallen werden, gibt es dort überhaupt nicht, genauso wenig wie das Gefühl, dass die Polizei dir etwas Böses will. Überraschenderweise war diese generell gar nicht so stark zu sehen.

Aber Sie mussten davor die Texte zum Zensurieren einschicken.

Ja, das stimmt. Wenn wir in einem Song die Situation in Tibet thematisiert hätten, wäre das bestimmt nicht erlaubt worden. Ich denke, der Zensur geht es nur darum, solche für die Regierung heiklen Problematiken zu vermeiden. Tatsächlich haben sie auch bei uns das eine oder andere Lied gestrichen. Allerdings haben wir von vornherein so viele Titel eingereicht, dass auch viele Songs durchgekommen sind, die durchaus kritische Stellen beinhalten. Zum Beispiel „Pushed Again“, in dessen Video es ja unter anderem auch um China geht. Die Zensurstelle hat also unser Konzert nicht maßgeblich beeinflusst – auch nicht in unseren politischen Aussagen. Es wurde uns nur vom Veranstalter ganz klar gesagt: Bitte sprecht Tibet nicht an. Das war aber für uns in Ordnung. Denn wenn du dort einen diesbezüglichen Spruch bringst, kannst du echten Schaden anrichten. Björk war mal dort und hat das Thema nur mit einem Wort erwähnt. Im Anschluss gab es drei Jahre lang keine Konzerte für junge Leute mehr. Als Künstler reist du dann weiter durch die Welt und kümmerst dich nicht mehr darum, was in China danach los ist. Aber den Jugendlichen und den Punkbands dort wird es daraufhin noch schwerer gemacht.

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Welche Ihrer Songs hat China verboten? Und warum glauben Sie, gerade diese?

Zum einen „Liebeslied“, aber das war uns eigentlich schon vorher klar, denn da geht es um eine Straßenschlacht in Berlin. Das andere war „Alles aus Liebe“. Da sind auf der Originalaufnahme zwei Schüsse zu hören. Ich denke, dass man damit vielleicht den Selbstmord verherrlicht sah. Aber genau weiß ich es nicht, wir haben keine Erklärungen dazu bekommen.

Meinungsfreiheit war auch das Thema der Kontroverse beim Echo um die antisemitischen Rap-Texte von Farid Bang und Kollegah. Sie sagten, dass Provokation wichtig ist und Verbote solcher Songs nichts nützen, dass aber bei einer frauenverachtenden, homophoben, rechtsextremen oder antisemitischen Form eine klare Grenze sein müsse.


Ein Verbot von Liedern mit fragwürdigen und die Grenze verletzenden Inhalten trägt immer zum Kult dieser Stücke bei. Als damals der Ärzte-Song „Claudia hat ’nen Schäferhund“ verboten wurde, bedeutete das im Umkehrschluss, dass gerade deshalb unglaublich viele Leute diesen Song haben wollten. Die verbotenen Tracks werden unter der Hand sowieso weitergereicht und bekommen dadurch einen Kultstatus, der uns nicht weiterbringt. Deshalb ist das meiner Meinung nach nicht der richtige Schritt.

Was wäre der richtige Schritt?

Man muss das auch immer im Kontext sehen und verstehen, dass es gerade bei Battle-Rap auch immer darum geht, noch einen draufzusetzen und sich in einer spielerischen Art gegenseitig zu übertreffen und auch zu beleidigen. Bis zu einem gewissen Punkt kann man schon mit der Kunstform argumentieren. Das ist auch gar nicht immer als Beleidigung gemeint, sondern kommt oft aus dem Spaß, mit Tabus zu spielen. Der richtige Schritt wäre, an die Vernunft der Kulturschaffenden und Musiker zu appellieren und zu sagen: „Überlegt euch, ob eine gute Punch Line oder ein Spruch mit schwarzem Humor euch wirklich all die Verletzungen wert ist, die ihr damit auslöst.“

Aber kommt so ein Appell an? Das haben Sie beim Echo ja versucht, aber es wurde von Farid Bang mit einer gelangweilten Geste abgetan.


Es ist vollkommen klar, dass so jemand in einem solchen Moment erst einmal in eine Abwehrhaltung geht und sagt: „Ich lass mich doch von dem Opa da oben nicht vollreden.“ Ich glaube aber schon, dass man so etwas zu einem späteren Zeitpunkt, wenn man aus der Drucksituation raus ist, ganz anders reflektiert. Das ist ja auch eine Entwicklung. Wir haben mit den Toten Hosen im Laufe der Jahre selbst jede Menge Grenzen übertreten, viel Unsinn und Sachen gemacht, die wir heute nicht mehr bringen. Man entwickelt sich Schritt für Schritt weiter, und irgendwann will man außer der Provokation auch noch etwas anderes beitragen. Das hat der Punkrock vorgeführt: Zuerst war da der Nihilismus der Sex Pistols, der in diesem Zynismus nie wieder erreicht wurde. The Clash standen schon für das Aufblühen und Anbieten von konstruktiveren Lösungen.

 

Wie geht es nach der Festival-Tour für Die Toten Hosen weiter?

Wir haben gerade großen Spaß mit  der Pianistin und dem Streichquartett, die wir für diese Tournee dazu geholt haben und überlegen, ob wir in dieser Kombination mehr machen können.

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NOVA ROCK 2018

Heuer findet das Nova Rock  von 14. bis 17. Juni wie immer in den Pannonia Fields bei Nickelsdorf im Burgenland statt. Die wichtigsten Acts:

Donnerstag, 16. Juni
Blue Stage: Die Toten Hosen, Seiler und Speer, Kraftklub
Red Stage: Marilyn Manson, Megadeth, Asking Alexandria


Freitag, 15. Juni
Blue Stage: Jonathan Davis, Avenged Sevenfold, Otto
Red Stage: Gentleman, The Prodigy

Samstag, 16. Juni
Blue Stage: Limp Bizkit, Volbeat
Red Stage: Dame,  Brian Fallon, Faithless (DJ-Set), Billy Idol

Sonntag, 17. Juni
Blue Stage:  Iron Maiden
Red Stage: Passenger, Billy Talent, Sunrise Avenue,

Eintrittskarten gibt es in allen Raiffeisenbanken (Ermäßigungen für Clubmitglieder). Weiters unter www.oeticket.com oder www.musicticket.at

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