Kultur

Burgtheaterdirektor Hartmann tritt ein Stück zurück

Die Finanzaffäre rund um das Burgtheater ist um eine weitere eigenwillige Facette reicher: Am Montag gab Direktor Matthias Hartmann überraschend dem Ensemble und auch den Medien bekannt, seine Tätigkeit als Geschäftsführer bis zur vollständigen Klärung der Bilanzungereimtheiten ruhen lassen zu wollen.

Er habe Bundestheater-Holdingchef Georg Springer und Kulturminister Josef Ostermayer ein dementsprechendes Angebot unterbreitet, ließ Hartmann wissen.

Überrascht

Doch dieses Angebot wurde vorerst nicht angenommen. Der temporäre Rücktritt blieb ein Vorschlag, der noch dazu auch seine Adressaten überraschte: Kulturminister Josef Ostermayer als auch die Holding gaben an, entgegen Hartmanns Angaben über den Vorschlag nicht informiert gewesen zu sein. Ostermayer „hat vorab nichts von diesem Brief gewusst“, sagte ein Ministeriumssprecher gegenüber dem KURIER über jenes Schreiben, das Hartmann verschickte.

Hartmanns überraschender Schritt kam nur wenige Stunden vor einem Treffen, das für seine Zukunft an der Burg entscheidend ist: Es sei für Dienstagvormittag bereits ein Gesprächstermin mit Ostermayer, Hartmann und dem Burgtheater-Aufsichtsrat vereinbart gewesen, so der Ministeriumssprecher.

Dabei werde es um ein Rechtsgutachten gehen, das Ostermayer zur Klärung der Affäre in Auftrag gegeben hat. Dieses sollte auch die Frage beantworten, inwieweit Hartmann Mitschuld an der Finanzaffäre rund um die entlassene Vizedirektorin Silvia Stantejsky trage. Ostermayer wolle dann „auf Grund der Fakten“ über die weiteren Schritte und Hartmanns Zukunft an der Burg entscheiden, sagte der Ministeriumssprecher.

Lügen und Intrigen

Hartmann beklagte in der Aussendung, dass die Diskussion um das Burgtheater „in einem aufgeheizten Klima, belastet von Halbwahrheiten, sogar Lügen und Intrigen, sowie gefälschten Belegen“ stattfinde. Er bezeichnete sich als „tief betroffen von den öffentlichen Anfeindungen und Kampagnen“ und will mit dem Schritt „den Weg für die Versachlichung der Diskussion ermöglichen“.

Er habe den Vorschlag unterbreitet, seine Tätigkeit als Geschäftsführer niederzulegen, um „Schaden durch die Verlängerung der medialen Schlammschlacht vom Haus abzuhalten, aber auch um Schaden für meine Familie – meine Kinder werden bereits angepöbelt – abzuwenden“. Er sei „sehr zuversichtlich, dass es in den nächsten Wochen in einem versachlichten Klima gelingen wird, der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen“, so Hartmann.

Fragen

Sollte das Angebot heute angenommen werden, stellen sich jedoch viele Fragen: Das für das Burgtheater geltende Bundestheaterorganisationsgesetz sieht weder eine vorübergehende Amtsniederlegung noch eine Trennung von künstlerischem Leiter und Geschäftsführer vor.

Die Niederlegung seiner Tätigkeit als künstlerischer Leiter hat Hartmann aber explizit ausgeklammert: Er wolle künstlerischer Leiter bleiben, sagte Hartmann laut ORF. Ob das überhaupt eine denkmögliche Variante ist, fragte der KURIER beim Kulturministerium nach. Um diese Frage gehe es derzeit nicht, hieß es dort.

Fraglich bleibt auch, ob das Haus dann nur einen Geschäftsführer (den kaufmännischen Leiter Thomas Königstorfer) hätte, ob Hartmanns Geschäftsführer-Bezüge ruhend gestellt werden und ob er seine Verpflichtungen als Regisseur weiter wahrnehmen werde. „Das entscheiden alles der Minister, Springer, der Aufsichtsrat und ich“, antwortete Hartmann auf dementsprechende KURIER-Anfragen.

Auch die Bundestheater-Holding zeigte sich vorerst im Unklaren darüber, was der Schritt Hartmanns für Konsequenzen hätte. „Wir sind zeitgleich wie Sie informiert worden“, hieß es von einer Sprecherin zur APA: „Wir sind jetzt am Sondieren und schauen, was das in der Praxis bedeutet.“

Der Schritt kam insbesondere deshalb überraschend, da sich Hartmann bisher konsequent dagegen verwahrt hatte, Mitschuld an der Affäre zu haben. Noch am Freitag hatte er in einem Befreiungsschlag vor Journalisten vorzurechnen versucht, dass sich die finanzielle Lage der Burg unter seiner Direktion sogar verbessert hat.

Dies wies Hartmanns Vorgänger Nikolaus Bachler wenig später empört und mit scharfen Worten zurück. Auch kam Hartmann mit seinen Berechnungen auf Nachfragen hin in Schwierigkeiten.

Ungereimtheiten

Übers Wochenende sind dann in diversen Medienberichten weitere Ungereimtheiten über das Vorgehen Hartmanns aufgetaucht. So hieß es in mehreren Berichten, dass die gefeuerte kaufmännische Direktorin Silvia Stantejsky auch für Hartmann Barbeträge verwahrte.

Hartmann seien in dessen Vorbereitungszeit auf seine Direktion Honorare bar ausgezahlt worden. Dies sei geschehen, weil er in dieser Zeit noch kein Konto in Österreich hatte, so Hartmann. Die Vorgänge seien aber rechtens gewesen, die Honorare versteuert und nicht doppelt ausbezahlt worden.

Hartmann will laut den Medienberichten bereits vor einigen Jahren die damalige Abschreibungspraxis des Burgtheaters, deren spätere Nicht-Akzeptanz zu den heutigen Budgetproblemen beiträgt, kritisiert haben.

Dies habe er unter anderem auch dem Chef der Bundestheater-Holding, Georg Spinger, mitgeteilt – was dieser wiederum in der Presse dementierte.

Entscheidung

Am Dienstag wird sich in der Sitzung mit Ostermayer nun die Zukunft Hartmanns im Burgtheater entscheiden. Das Kulturministerium will dabei nach einem Stufenplan vorgehen: Die fünf Stufen sehen zuerst das Gutachten und dann Gespräche mit dem Aufsichtsrat, der Geschäftsführung und dem Ensemble vor.

Zu guter Letzt werde schließlich die Öffentlichkeit informiert.

Dieses Stück würde jedem Autor zurückgeworfen: Was an der Burg derzeit stattfindet, würde kein Theaterbesucher jemals glauben.

Und sei es noch so überzeugend inszeniert.

Aber das ist die Mischung aus Tragödie, Drama und Farce, die sich überall außer auf der Burgtheater-Bühne entspinnt, keineswegs: Hier läuft alles schief, was nur irgendwie schief laufen kann.

Es wurde alles versucht: schönreden, kleinreden, Schuld hin und her schieben, klagen, entlassen, untersuchen lassen, nachrechnen, neurechnen, schönrechnen.

Doch die Finanzaffäre an der Burg ist wie das sprichwörtliche Spinnennetz: Je heftiger sich die Beteiligten daraus zu entwinden versuchten, desto mehr schienen sie sich zu verstricken. Die Krisen-Kommunikation mutete an wie jene „Loch auf, Loch zu“-Bilanzierung, die man der gefeuerten Vizedirektorin vorwirft: Auf jeden versuchten Befreiungsschlag folgten neue Details. Die Vorgänger Matthias Hartmanns in Zürich, Bochum und Wien schossen auf Kritik Hartmanns scharf zurück; auch hier gab es keine Entlastung. Die Ex-Vizedirektorin wehrt sich vor Gericht. Die ihr vorgeworfenen Malversationen klingen so absurd und handgestrickt, dass man fassungslos bleibt, wie die Kontrollorgane das alles übersehen konnten.

Es wird höchste Zeit, dass für dieses Stück der letzte Vorhang fällt.

Seit Langem warnen Manager vor einer finanziellen Unterdotierung des Burgtheaters. Eine von Wirtschaftsprüfern geforderte Veränderung bei den Abschreibungen für Produktionen hat die Lage seit der Saison 2011/’12 zugespitzt. Die Entwicklung im Rückblick:

April 2008: Silvia Stantejsky, seit 1980 Leiterin des Betriebsbüros, seit 1999 Prokuristin und Stellv. des kaufmännischen Geschäftsführers ( GF) Drozda, wird kaufmännische GF des Burgtheaters. Den zusätzlichen Finanzbedarf beziffert sie mit 3 bis 3,5 Mio Euro.

April 2009: Bei seiner ersten Spielplan-PK erzählt Hartmann, in Zürich habe man ihn zuletzt vorwiegend nach Auslastung- und Budgetzahlen gefragt, was ihm "zum Hals raushängt". Die Beantwortung nach der finanziellen Lage des Hauses überlässt er Stantejsky.

Juni 2011: Aus der Effizienzanalyse der Bundestheater errechnet sich die Holding bis zu 14 Mio. Euro "Optimierungspotenzial".

Februar 2013: Stantejsky verzichtet auf neuerliche Bewerbung bei der Ausschreibung ihres Postens. Gleichzeitig wird bekannt, dass sie Stellvertreterin des künstlerischen Direktors wird.

März 2013: Bei der Bekanntgabe des Geschäftsberichts 2011/’12 sagt Holding-Chef Springer: "Der Tank ist leer."

April 2013: Hartmann befürchtet "Erstickungstod".

Mai 2013: Hartmann: "Der Tag, an dem es nicht mehr geht, ist bereits verstrichen."

November 2013: Eine Gebarungsprüfung der von Stantejsky verantworteten Geschäftsjahre deckt Ungereimtheiten auf, sie wird suspendiert, später fristlos entlassen.

Jänner 2014: Das Ensemble stellt sich auf Stantejskys Seite. Der Rechnungshof stellt "erhöhte Risikorelevanz" im Burgtheater fest und überlegt eine Prüfung.

Februar 2014: Wirtschaftsprüfer sehen "deutliche Indizien für gefälschte Belege und die Vorspiegelung falscher Tatsachen" durch Stantejsky. Laut Aufsichtsrat sei für 2012/’13 mit einem Bilanzverlust von "voraussichtlich" 8,3 Mio. Euro zu rechnen. Dazu könnten 5 Mio. Euro Steuernachzahlungen kommen.

Der KURIER lässt die Burgtheater-Finanzaffäre um die entlassene Vizedirektorin Silvia Stantejsky Revue passieren – anhand ausgewählter Zitate:

"Wo Sumpf ist, kann man lange bleiben, ohne dass etwas geschieht. Es ist aber auch eine große Freude, im Sumpf zu arbeiten. Man hat mich immer vor diesem Österreich gewarnt. Aber ich frage mich nach zwei Jahren in diesem Land: Wann kommt dieses Österreich, vor dem mich alle gewarnt haben? Wann fängt das Fürchterliche denn an?"(Burgdirektor Matthias Hartmann, 2011. Die Antwort kam wohl schneller, als ihm lieb war)

"Bevor man uns Schindluder vorwirft, müsste einiges passieren."(Auch das geht manchmal schneller, als man denkt)

"Das ist schon ein Signal für die Zukunft des Burgtheaters."(Bundestheater-Holdingchef Georg Springer gibt im März 2013 bekannt, dass die Burg 3,65 Mio. Euro aus dem Stammkapital nehmen muss, um ein Minus abzuwehren)

"Silvia Stantejsky hat sich entschlossen, für diese Entwicklung auf der kaufmännischen Seite ab 1. September 2013 nicht weiter zur Verfügung zu stehen."(Die Geschäftsführerin wird wegen der schwierigen Finanzlage zur Vizedirektorin)

"Die Vizedirektorin des Burgtheaters, Silvia Stantejsky, ist im Dezember wegen Unregelmäßigkeiten bei der finanziellen Gebarung entlassen worden."(Jänner 2014: Die Finanz-Affäre wird durch einen "News"-Bericht öffentlich)

"Dem Haus ist sicher kein Schaden entstanden." (Hartmann irrt)

"Der Aufsichtsrat wurde darüber unterrichtet, dass im Jahresabschluss für das Jahr 2012/2013 mit einem Bilanzverlust von voraussichtlich TEUR 8.300 zu rechnen ist. Darüber hinaus stünden Steuernachzahlungen in der Höhe von bis zu TEUR 5.000 im Raum."(Da war er dann, der Schaden)

Stantejsky habe "eine sehr intelligente Schattenorganisation aufgebaut" und "dolose Handlungen" gesetzt.(Springer weist die Verantwortung von sich)

"Dr. Springer als auch der Aufsichtsrat wird von sämtlichen buchhalterischen Entscheidungen informiert. Parallel kann gar nichts geschehen."(Stantejsky wehrt sich)

"Die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung"(Aufgabe der Holding, aus dem Bundestheatergesetz)

"So etwas können nur Wirtschaftsprüfer sehen. Ich bin ja nicht in der Buchhaltung des Hauses unterwegs."(Der künstlerische Geschäftsführer Hartmann weist trotz des Vieraugenprinzips die Verantwortung von sich)

"Das Vieraugenprinzip bedeutet eben nicht zwei getrennte Augenpaare – ein Gröscherlzähler und ein Künstler – sondern ein beidseitiges Bewusstsein."(Zur Erinnerung: Springer im Jahr 2010 zur Rollenverteilung der Geschäftsführer)

"Sie olle ham was g’wusst und des lasst mir ka Ruah."(Titus Feuerfuchs im Akademietheater, siehe hier)

"Unwürdige und unproduktive Angstpolitik."(Burg-­Ensemble spricht Hartmann und Springer das Misstrauen aus)

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Direktor Antritt Abgang
Matthias Hartmann 2009 Vertrag bis 2019, Amt am 10.3. '14 ruhend gestellt
Klaus Bachler 1999 2009
Claus Peymann 1986 1999
Achim Benning 1976 1986
Gerhard Klingenberg 1971 1976
Paul Hoffmann 1968 1971
Ernst Haeusserman 1959 1968
Adolf Rott 1954 1959
Josef Gielen 1948 1954
Erhard Buschbeck (prov. Leiter) 1948 1948
Raoul Aslan 1945 1948