Burgtheater-Kritik: Hiob als Passionsspiel mit Jedermann
Von Guido Tartarotti
Christian Stückl ist ein Experte für geistliche Stoffe. Seit vielen Jahren leitet er die Oberammergauer Passionsspiele. Bei den Salzburger Festspielen setzte er zehn Jahre lang den „Jedermann“ in Szene. Gleichzeitig gilt er als „Kraftmeier“, eine Zuschreibung, die dem Regisseur nie gefiel.
Bei der Dramatisierung von Joseph Roths Roman „Hiob“, die am Sonntag im Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde, setzt Stückl ganz auf Innerlichkeit. In einer nahezu leeren, nur durch sanfte Bodenwellen und dem Schriftzug „AMERICA“ definierten Bühnenlandschaft (Stefan Hageneier) läuft die Geschichte um den altösterreichischen Juden Mendel Singer, den Gott (oder das Schicksal?) über die Grenze des Erträglichen hinaus prüft, ebenso sanft ab.
Hiiiiiob!
Die Hauptrolle spielt Peter Simonischek, Stückls Salzburger Jedermann von 2002 bis 2009. Die beiden kennen einander also sehr gut, und das hat Vor- und Nachteile. Einerseits läuft die Inszenierung geschmeidig, nahezu perfekt ab (ein paar Texthänger gibt es, aber wurscht). Andererseits bekommt das Geschehen vor allem nach der Pause eine fast Jedermann-artige Süßlichkeit. Würde plötzlich der Domplatz aus dem Bühnenboden wachsen oder würden plötzlich „Hiiiiiob!“-Rufer erklingen, man wäre auch nicht verblüfft.
Bei Joseph Roth – diesem vielleicht größten aller Romanautoren – ist Hiob der jüdische Tora-Lehrer Mendel Singer, der rund um 1900 in einem Schtetl in Russland lebt – und von den Zeitläufen überrollt wird. Sein Sohn Menuchim ist Epileptiker und beherrscht nur das Wort „Mama“ (für einen Tora-Gelehrten, der Gott im Wort findet, eine Katastrophe).
Menuchims Geschwister hassen ihren Bruder und versuchen sogar, ihn zu ermorden. Aus Verzweiflung über Menuchims Krankheit entfremden sich Mendel Singer und seine Frau. Und die Tochter protestiert gegen dieses unerträgliche Familienleben durch ein, sagen wir, sehr flexibles Sexualleben.
Amerika
Schließlich wandert die Familie nach Amerika aus und hat zunächst Erfolg. Doch der Erste Weltkrieg holt sie ein, Ein Bruder fällt, einer wird vermisst, die Mutter stirbt, die Tochter verliert den Verstand.
Nun verflucht Mendel Singer, wie der biblische Hiob, seinen Gott. Bis plötzlich sein Sohn Menuchim vor ihm steht. Von seiner Krankheit genesen, brachte er es zum gefeierten Stardirigenten. Mendel Singer findet, fast widerstrebend, zu seinem Glauben zurück.
Das Ensemble spielt sehr gut, allen voran Tino Hillebrand als Menuchim und Stefanie Dvorak als dessen Schwester Mirjam. Peter Simonischek liefert eine Bravourleistung in der Hauptrolle ab – und wirkt doch stets gefährdet, in den Kitsch abzugleiten (es passiert ihm aber nie).
Ensemble
Regina Fritsch ist sehr gut in der Rolle der Mutter, die unter der Entfremdung von ihrem Mann leidet und sich nicht mehr als Frau fühlt. Christoph Radakovits und Oleg Tikhomirov verkörpern die Idee „Amerika“, sind aber nahe am Klischee (Cowboystiefel!).
Hans Dieter Knebel, Peter Matic und Stefan Wieland verkörpern die jüdische Gemeinde in Amerika, aber auch hier fiel dem Regisseur nicht viel mehr ein als das Erwartbare.
Bravos
Am Ende gibt es viele Bravos für einen um 20 Minuten zu langen Abend. Manches an dieser Aufführung (Textfassung: Koen Tachelet) berührt zutiefst, anderes lässt dagegen kalt. Dennoch: Sollte man gesehen haben.