Buchkritiken: Neues von Umberto Eco
Von Peter Pisa
Diesmal lockt er. Die Gassen von Paris, die er anfangs beschreibt, sind ebenso finster und dreckig wie das Barcelona eines Ruiz Zafóns. Dann: das Geschäft eines Altwarenhändlers. Der Staub hat das Schaufenster undurchsichtig gemacht. Wackelige Tische werden verkauft, lauter unbrauchbare Sachen. Dann: die zweite Tür, dahinter Bücher, in kostbares Maroquinleder gebunden. Ein älterer Mann sitzt im Morgenrock am Schreibtisch und notiert ins Tagebuch: "Wen hasse ich? Die Juden ..."
Vorsicht
Anders als in "Der Name der Rose" schreckt Umberto Eco die Leser nicht mit der Beschreibung eines Kirchenportals, sondern bittet sie in seine neue Geschichte, die Ende nächster Woche unter dem Titel "Der Friedhof in Prag" in allen Buchhandlungen liegen wird, höflich herein. In Italien und Spanien war der historische Roman übers 19. Jahrhundert der große Renner. Eco nimmt - fast könnte man es glauben - diesmal die nicht so idealen Leser in Kauf. Weil der 79-Jährige etwas mitzuteilen hat: Dass wir auf der Hut sein sollen vor den mächtigen Geschichten der Lügner, den Täuschern, Fälschern.
Dass wir das Licht (und das Hirn) einschalten sollen, denn: Sie sind nach wie vor unter uns.
Bei dieser Gelegenheit darf man anführen: Der Italiener möchte bitte "nicht unter Berlusconi sterben". Aber Eco ist Eco, und so einer will nicht über 500 Seiten auf Zafón machen (können tät' er das mit links). Deshalb sind im Buch viele Stellen verstreut, in denen Garibaldiner und Carbonari und Mazzinianer für Verwirrung sorgen. Außerdem lernt man zum Beispiel einen gewissen Gaviali kennen, und durch ihn wird man Maurice Joly vorgestellt, der Napoleon III. in einer Satire mit Machiavelli verglichen hat. Der Text wurde von Brüssel nach Frankreich geschmuggelt, aber gleich hinter der Grenze beschlagnahmt und so weiter und so fort.
Satansmessen
Alles ist wahr. Nur der Alte im Morgenmantel ist keine historische Figur. Gegeben freilich hat es mehrere von seiner Sorte. Simon Simonini heißt er, aus Turin stammt er, nach Paris ging er, und dass er geweihte Hostien an Teufelsanbeter verscherbelt, ist noch das geringste Übel.
Alt geworden, weiß er selbst nicht mehr, wer er ist bzw. wie viele er ist. Ist er auch der Priester Dalla Piccola, der in derselben Wohnung haust und ebenfalls nach Schnaps stinkt, wenn er, Simonini, welchen getrunken hat?
Chaos
Eco ist beide; abwechselnd. Und er taucht auch als "der Erzähler" auf, der zwischendurch zusammenfasst -, um am Ende schelmisch zu bekennen, selbst er habe Mühe gehabt, im Chaos der Handlung den Überblick zu behalten. Es lohnt sich, auf den Kern zu stoßen: Größere Schweinehunde als Simonini gibt es wenige. Er ist Urkundenfälscher und Spion. Seine Dokumente haben Menschen ruiniert, manchmal hat er noch mit seinem Dolch nachgeholfen. Gegen Honorar erfand er Material, um Sündenböcke noch besser präsentieren zu können: Jesuiten, Freimaurer, Juden ... Zitat: "Man braucht nur von etwas zu reden, um es existieren zu lassen." Giftspritze Und so redet, so fälscht und lügt er etwa im Namen katholisch-konservativer Kreise, um den jüdischen Offizier Dreyfus als Verräter Frankreichs hinzustellen. Und so gibt er dem Antisemitismus zusätzliche Nahrung und spritzt sein stärkstes Gift in die berüchtigten "Protokolle der Weisen von Zion" - den erfundenen Bericht von einer nächtlichen Zusammenkunft auf dem Friedhof von Prag, bei dem die Juden die Weltverschwörung planen. Dieser Dreck aus dem Jahr 1897 ging (längst als Fälschung entlarvt, aber die Dummheit der Menschen ist faszinierend) von Land zu Land und erreichte später Hitler. Und er erreicht in heutiger Zeit z. B. den Holocaust leugnenden Bischof Williamson. Der beruft sich in seinen Predigen darauf.
Hass
Simon Simonini ist der Hass. Er findet seine Arbeit völlig normal und isst genüsslich Schildkrötensuppe mit trockenem Madeira. Dass Ecos Roman in Italien von einigen als "antisemitisch" missverstanden wurde, ist nur dann nachzuvollziehen, wenn man bloß Teilchen gelesen hat. Bei ihm ist nichts zweideutig. Es ist eindeutig gegen die Verbrecher gerichtet. Was man von den 110.000 Google-Eintragungen zum Thema "Weisen von Zion" nicht behaupten kann. Jetzt wird halt hier gelogen. Eco ist gewiss nicht gefährlich. Eher könnte man über ihn sagen: Sein Protzen mit Wissen lenkt ab.
David Safier - 4 Monster und 1 Popo
Es ist ja verständlich, weshalb der Deutsche von seinen Romanen "Mieses Karma" und "Jesus liebt dich" zwei Millionen Exemplare verkauft hat. Eine böse Frau, die als Ameise wiedergeboren wird oder Jesus in der Karaoke-Bar - das rinnt hinein, fast kann man schlafen nebenbei. Zugegebenermaßen sind manche Stellen sehr amüsant. Jetzt ist David Safier auf die "Happy Family" gekommen. Da verwandelt eine Hexe eine gestresste Familie, die gar nicht happy ist, in Monster. Vampir und Mumie und so. So etwas schweißt zusammen, und als sich Mama und Papa, Sohn und Tochter umarmen, verliert der Fluch seine Wirkung. Das dauert ein ganzes Buch lang. Dazwischen taucht seltsamerweise immer wieder der Hintern der "Twilight"-Schriftstellerin Stephenie Meyer auf und wird "Breiarsch" genannt.
Martha Gellhorn - Reisen mit der Zicke
Hemingway dürfte zickig gewesen sein und es ist lustig, von ihm als "UB" zu lesen: Hemingway war Martha Gellhorns Ehemann und ihr "UB", ihr "Unwilliger Begleiter" auf ihren "Reisen mit mir und einem Anderen" . Der Untertitel "Fünf Höllenfahrten" ist jedoch nicht allein ihm zu verdanken. Es geht in dem von Herwart Rosemann aus dem Englischen übersetzten Reisebericht in unwirtliche Gegenden wie China im Krieg, eine "Superschreckensreise".
Gellhorns Berichte sind dennoch amüsant. In Wahrheit war das Leben mit dem Alkoholiker wohl weniger lustig - nach vier Jahren, die im Desaster endeten, wollte die tapfere Kriegsreporterin seinen Namen nie wieder hören. Seit dem Spanischen Bürgerkrieg hatte die 1908 in Missouri geborene Journalistin von allen Kriegsschauplätzen der Welt berichtet. Sie starb 1998. - B. Mader