Shakespeare darf nicht einfach so frühstücken
Von Peter Pisa
Er ist „ihr Mann“. Manchmal ist er „der Vater“. Und „der Bruder“. Es ist nicht wichtig, wie er heißt.
Obwohl er Shakespeare heißt.
Die irische Schriftstellerin Maggie O’Farrell hat es anfangs versucht. Sie schrieb: „Shakespeare stand auf und frühstückte.“
Dabei kam sie sich wie ein Idiot vor. Lächerlich. Einen Shakespeare kann man nicht so einfach aufstehen und frühstücken lassen.
Er ist „der Vater“ der Zwillinge Judith und Hamnet. Er ist „der Mann“ von Anne (bzw. Agnes) Hathaway.
Es ist der Roman der Familie Shakespeare in Stratford bei Birmingham, meist ohne IHN, denn ER spielt in London, 160 Kilometer entfernt, Theater.
So beginnt’s. Der elfjährige Hamnet kommt die Treppe herunter, er stolpert, fällt auf ein Knie – wie sah der Fußboden aus, 1596 in einem bürgerlichen Haus?
Das Haus steht noch. Maggie O’Farrell hat dort viel fotografiert.
Es ist ein Steinboden. Das Knie schmerzt dementsprechend. Niemand da, Hamnet findet die Schwester im Bett. Sie fiebert. Auf ihrem Hals sind Beulen. Die Pest.
Liebesheirat
Später macht Mutter einen Brei aus Beinwell und Rhabarberstängel. Der studierte Arzt bringt eine tote Kröte für Judith, er wird hinauskomplimentiert.
Niemand merkt, dass der Bruder Judith aus dem Bett hebt und sich selbst hineinlegt. Er will sich opfern. Er will, dass sie lebt ...
Maggie O’Farrell hat die gängigen Heilkräuter des 16. Jahrhunderts studiert. Zumindest wie sie riechen, wollte sie wissen, während sie „Judith und Hamnet“ schrieb.
Wie das ist, Todesangst ums Kind zu haben, weiß sie sowieso: Ihre Tochter hat eine schwere Allergie auf Erdnüsse. Es ist bereits lebensgefährlich, wenn am Nachbartisch jemand Erdnussflips isst.
Man weiß wenig über William Shakespeare. Man weiß so gut wie nichts über seine Ehefrau – außer: Sie war 26, er 18, als sie heirateten. (Sie überlebte ihn).
Gern wird, einfach so, behauptet, Anne/Agnes habe ihn dazu dank Schwangerschaft gezwungen. Im Roman ist es eine Liebesheirat, und es blieb Liebe – dass sein Sohn starb: Man findet diese Qual in Dramen und Sonetten, man findet Hamnet in „Hamlet“. Hamnet und Hamlet, da ist derselbe Name.
Das alles ist so fern und in „Judith und Hamnet“ so nah. So mitfühlend. Lesen macht nicht nur die Augen feucht, es verursacht körperlichen Schmerz, es macht Angst, es ist etwas faul ...
„Vielleicht liegt es an diesem Nebel, dieser flussgetränkten Luft, wer weiß ... Ein wachsendes Unbehagen beschleicht ihn, eine dunkle Vorahnung, als ob ihm irgendetwas blüht“ (Seite 401).
Bild oben: Shakespeare, ums Jahr 1600 gezeichnet
Maggie O’Farrell:
„Judith und
Hamnet“
Übersetzt von
Anne-Kristin
Mittag.
Piper Verlag.
416 Seiten.
22,90 Euro
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern