Kultur/Buch

Patrick Modiano kommt Marcel Proust immer näher

Frei nach Rilke: Man hat sich eh schon viele Namen eingeprägt, Elefant und Hund und Kuh – wozu soll man sich jetzt auch noch Zebra merken?

Jean Bosmans notiert alle Erinnerungssplitter, alle Details notiert er in ein blaues Heft. Der Name des Sängers Serge Latour geistert oft durch seine Gedanken. Auch „Totenkopf“, der Spitzname einer Freundin aus frühen Tagen. 50 Jahre ist es her.

Latours Chanson „Douce dame“ war im Radio, als Jean Bosmans mit „Totenkopf“ in einem vietnamesischen Restaurant saß: Süße Dame, ich träume oft von dir ...

War da noch ein Name, der dazugehörte? Das Zebra vielleicht? 30 Kilometer von Paris entfernt liegt die Gemeinde und das Tal von Chevreuse. Dort muss etwas geschehen sein ...

Patrick Modiano – Literaturnobelpreis 2014 – baut in seine Erinnerungskunst gern eine kleine Krimihandlung ein. In Chevreuse gab es eine seltsame Abendgesellschaft in einer Wohnung. Bosmans wird in dieses „Netz“ von „Totenkopf“ mitgenommen. Damals war er 20. Aber war er darin nicht bereits verwickelt, als er fünf war?

Er versucht sich zu erinnern. Serge Latour, Totenkopf, Chevreuse, die Telefonnummer AUTEUIL 15.28, die schon damals nicht existierte – aber man hörte trotzdem, rief man an, viele Leute reden, wie Stimmen aus dem Jenseits klang es.

Lücken

Die Figur Jan Bosmans gab es schon einmal in einem der 30 Romane Patrick Modianos. In „Der Horizont“ (2013) dachte sein Bosmans an eine Liebesgeschichte zurück.

Erinnern ist Pflicht. An alles kann man sich zwar nicht erinnern, es gibt Lücken. Auch dort ist Leben, bloß steht es mit unsichtbarer Tinte geschrieben, weiße Schrift auf weißem Papier.

Trotzdem muss man sich ums Lesen bemühen. Könnte ja sein, dass man durch einen Gedanken auf etwas stößt, das bisherige Leerstellen füllt.

So geht die Suche nach der verlorenen Zeit. Modiano ist in „Unterwegs nach Chevreuse“ besonders nah bei seinem Landsmann Marcel Proust. Er verwendet ausdrücklich Prousts Ausdruck „verlorene Zeit“.

So leicht schreibt er. So schwer wiegt es. So geheimnisvoll ist das. Im aktuellen Buch verrät Modiano: Er macht Romanfiguren aus dem Vergangenen, um es unschädlich zu machen.

 

Patrick Modiano:
„Unterwegs nach Chevreuse“
Übersetzt von
Elisabeth Edl.
Hanser Verlag.
160 Seiten.
23,50 Euro

KURIER-Wertung: ****