Der Thomas Bernhard der Schweiz: Friedhofskunde und Grabsteinlyrik
Von Martin Grabner
Das Schulhaus liegt direkt neben dem Friedhof des kleinen Dorfes Schilten im Kanton Aargau. Die Turnhalle wird für Trauerfeiern genutzt, die Schulglocke ist auch Totenglocke und so ist es kein Wunder, dass der Schulmeister Armin Schildknecht mit den Schülern seiner Einheitsförderklasse ein Friedhofsjournal führt und ihnen täglich in Fächern wie Friedhofskunde, Grabsteinlyrik oder höhere Scheintotenkunde ins sogenannte „Generalsudelheft“ diktiert.
In den Nächten verfasst der Dorflehrer von Schilten mithilfe der Aufzeichnungen der Schüler einen Schulbericht zuhanden der Inspektorenkonferenz, aufgeschrieben in zwanzig Quartheften, um seine endgültige Suspendierung zu verhindern. Der Bericht schildert jedoch die zunehmende Besessenheit des Lehrers. Diktat ins Generalsudelheft: „Ein Friedhof neben der Schule treibt den Lehrer in den Wahnsinn“.
Der Schweizer Hermann Burger hat mit „Schilten“ ein Meisterwerk in Form eines Briefromans geschaffen, Marcel Reich-Ranicki verglich ihn mit Thomas Bernhard und bezeichnete Burger als „skurrilsten Humoristen der deutschen Literatur“. Mit nur 47 Jahren nahm sich der geniale Schriftsteller 1989 das Leben.