Kultur/Buch

Hanya Yanagiharas Symphonie heißt „Zum Paradies“ und führt in die Hölle

Der Punkt, auf den Hanya Yanagihara - Foto oben - kommt, ist kaum zu erkennen. Das kann verunsichern.

Seit „Ein wenig Leben“ (über Freundschaft und Missbrauch) ist die gebürtige Hawaiianerin eine der interessantesten Schriftstellerinnen der USA.

Sie springt aus allen Schubladen, in die man ihre Bücher stopfen will.

Und kümmert sich nicht darum, dass die Zeit zu schnell geworden ist für 900 Seiten. Langsame Seiten, dichte, aber unspektakulär, harmloser als früher.

Drei Teile

Hanya Yanagiharas Roman „Zum Paradies“ könnte auch, hat man den schönen Schein zur Seite geschoben, „Zur Hölle“ heißen.

Er besteht aus drei Teilen, eine Symphonie in drei Sätzen, die nur zart miteinander verbunden sind.

1893, 1993 und 2093.

Das Haus am Washington Square bleibt im Zentrum, die Namen David, John, Eden kommen mehrmals vor; die Männer sind fast alle homosexuell; und im dritten Teil, der in der Zukunft spielt, erinnert sich jemand, dass er den Text des ersten Teils irgendwann gelesen hat. Gern würde er wissen, wie es damals mit David und Edward ausgegangen ist:

Mit dem reichen jungen Mann, der immer nur das Bisschen tat, das von ihm verlangt wurde. Dazu gehörte auch, für die Armen Socken zu stricken.

Aber jenen älteren Mann, mit dem das Oberhaupt der Familie die Heirat schon arrangiert hat, den will David nicht. Sondern einen armen Musiklehrer.

Er bekommt zu hören: „Das kannst du nicht beurteilen, ob du ihn liebst!“

Paukenschläge

Wie geht die Geschichte aus? Sie spielt in New York City, aber bei Yanagihara ist es eine andere Stadt – ist es ein Freistaat, in dem jede(r) lieben kann, wenn sie/er will.

Oder doch nicht.

(Anscheinend sind es die Männer, die bei derartiger Freiheit meistens Männer heiraten wollen. „Zum Paradies“ ist schon ein etwas seltsames Buch. )

Und wie geht die zweite Geschichte aus – diesmal in Kombination: reicher älterer Rechtsanwalt und sein armer, aus Hawaii stammender junger Assistent (plus Trauma, plus Aids)?

Das sind zwei schöne und recht einfache Melodien.

Paukenschläge gibt es dann im letzten Teil durch Pandemie und Diktatur – zum Beispiel wenn Beamte der Untersuchungseinheit 546 mit Gewehr Wohnungen durchsuchen, ob man sich einen Internetzugang verschafft oder ein verbotenes Buch besitzt.

Aber der Punkt? Wo ist denn der Punkt, den Hanya Yanagihara versteckt?

Könnte sein, dass er dort zu finden ist, wo es Gerechtigkeit gibt und Liebe, Toleranz und Freiheit und Gesundheit, Freundschaft und Zuverlässigkeit. Könnte durchaus sein, dass Yanagihara uns daran erinnern will, worauf es ankommt. Aber dann soll sie’s tun!

Freilich: Falls man es nicht braucht, dass sie den Roman auf den Punkt bringt, kann man mit drei Pünktchen (...) als Andeutung, dass nichts zu Ende ist, halbwegs zufrieden sein.


Hanya
Yanagihara:

„Zum Paradies“
Übersetzt von
Stephan Kleiner.
Claassen Verlag.
896 Seiten.
30,95 Euro

KURIER-Wertung: *** und ein halber Stern